Martin Etter, Der Bund (00.00.0000)
CH-Erstaufführung von Rameaus «Les Indes Galantes» im Opernhaus Zürich
Jean-Philippe Rameaus 1735/1736 entstandenes Werk «Les Indes Galantes» ist ein seltsames Zwitterding zwischen Oper, Ballett, Revue und Show: Nach einem Prolog, der den Triumph der Liebe über Macht und Ruhm feiert und den die Zürcher Inszenatoren witzig ins Ende des 19. Jahrhunderts verlegt haben, folgen vier raffiniert in exotische Gefilde versetzte, das Thema erläuternde Kurzopern - nach dem Mozarts «Entführung aus dem Serail» vorwegnehmenden «Grossmütigen Türken» und den nach Südamerika führenden «Inkas von Peru» kreisen die «Blumen» um ein persisches Fest und die «Wilden» um ein Eifersuchtsdrama bei den in den Rocky Mountains sesshaften Indianern.
Sinnenzauber für das Auge
Der Prolog und die vier ausgedehnten Szenen - die Aufführung hat Wagner-Länge und dauert annähernd vier Stunden - bieten Gelegenheit zu opernhaften Bildern, Balletteinlagen, Chornummern und, nicht zuletzt, zu einer opulenten optischen Show. Das Zürcher Opernhaus hat für diese Rarität zunächst die üppige kreative Vorstellungswelt des Bühnenbildners Hans Schavernoch und des Kostümentwerfers Jordi Roig aufgeboten, die das Theater in eine Dependance der «Folies bergères» verwandelt und dem Auge ständig neue und durchwegs fesselnde Nahrung präsentiert.
Heinz Spoerli zeichnet für die Inszenierung und die Choreografie verantwortlich - und seiner unbestrittenen Könnerschaft verdankt das begeisterte Publikum Szenen von kostbarem Reiz und verwirrender Schönheit. Einzig die ständige Bewegungshysterie des von Spoerli an sich vorzüglich geführten Zürcher Balletts verwirrt mit der Zeit - wie so oft wäre auch hier bisweilen weniger mehr.
William Christies Kompetenz
Rameaus Musik - sie darf als wohlgeformte, aber nicht immer und nicht überall genial inspirierte Barock-Routine bezeichnet werden - wird durch den Rameau-Spezialisten William Christie, den aus Paris herbeigeeilten «Chœur des Arts Florissants» und die opernhauseigene Orchesterformation «La Scintilla» hervorragend betreut: Dem zu Recht umjubelten William Christie und seinen Helferinnen und Helfern gelingt es, gewisse Längen der Partitur stets erneut mit Schwung, Spannung, subtiler Differenzierung und optimistischer Ausstrahlung zu überdecken und das Hörerinteresse wach zu halten.
Acht Vokalsolisten
Neben dem Zürcher Ballett, dem Junior Ballett und dem Statistenverein am Opernhaus Zürich wirken auch noch acht Vokalsolisten (Malin Hartelius, Rodney Gilfry, Isabel Rey, Juliette Galstian, Liliana Nikiteanu, Christoph Strehl, Gabriel Bermudez und Reinaldo Macias) mit, die ausnahmslos schön und expressiv singen, aber leider zum Teil mit abenteuerlicher französischer Diktion verärgern.
Trotz marginalen Einwänden ist der Zürcher Einsatz für Rameaus Opéra-ballet eine wichtige künstlerische Tat, die das Musiktheater-Repertoire mit einer faszinierenden Spezialität erweitert. Und Rameau-, Christie- und Spoerli-Fans werden ohne Zweifel diese «Indes Galantes» - Reprisen sind in dieser Saison noch bis 29. Mai geplant - nicht verpassen.