Eine Revolution im Tennisrock

Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (07.11.2006)

Das Land des Lächelns, 05.11.2006, Luzern

Chinesische Exotik auch im Takt der Walzer zeigt die Operette das «Land des Lächelns». Dominique Mentha inszeniert das augenzwinkernd.

Beim Stichwort China denken wir heute an Wirtschaftswachstum und an klinisch genau durchorganisierte Produktionshallen, in die westliches Knowhow und Arbeitsplätze abwandern. Das ist eher beängstigend als exotisch und so ziemlich das Gegeneil einer gemütlichen Operette mit Plüsch, süffigen Melodien und schmissigen Walzerrhythmen. Umso interessanter ist, dass 1928 in Franz Lehárs «Das Land des Lächelns» beides, China und die Operette, zusammenfand.

Wie, das zeigte am Sonntag die Premiere am Luzerner Theater. Denn Theater-Direktor Dominique Mentha, der selber Regie führt, verzichtet auf jede Aktualisierung. Die Chinesen sind hier noch immer eifrig umhertrippelnde Herdentiere mit Spitzhüten, die sich hinterwälderischen Traditionen beugen müssen: Wie der Prinz Sou-Chong, der seine aus Wien importierte Gemahlin vor den Kopf stösst, indem er zusätzlich vier Mandschu-Frauen ehelicht. In Europa dagegen pochten Frauen schon damals auf ihre Rechte, weshalb die Gräfin Lisa kurzerhand mit Freund Gustav wieder abreist.

Ironisches Spiel mit Klischees

Mentha zeigt diese Geschichte vom Scheitern einer interkulturellen Liebesutopie zwar in einem zurückhaltend stilisierten Bühnenbild (Ingrid Erb): Bewegliche Stellwände deuten zunächst die gräflichen Interieurs in Wien und später ­ blutrot die Gemächer am chinesischen Hof an. Ansonsten aber spielt er mit augenzwinkernder Ironie mit hergebrachten Klischees: Die trottelig-unterwürfigen Chinesen sind in fantastische Gewänder gehüllt (eine Augenweide: die Kostüme von Susanne Hubrich). Im ersten Wiener Akt dagegen erscheint Lisa als Prototyp einer Frau, die sich von gesellschaftlichen Konventionen emanzipiert und den Männern zeigt, wos lang geht in diesem Fall eben nach China.

Hier nimmt nur die Tennis spielende Schwester des Prinzen die Revolution vorweg, die sich aktuell in China vollzieht. Ansonsten bebildert Mentha die damalige Vorstellung des Kulturkonflikts zwischen Europa und dem Fernen Osten. Das verdeutlicht zwar, wie radikal sich inzwischen China geändert hat und ändern muss, bleibt aber doch selbst hinter dieser Entwicklung zurück.

Vorzügliche Sänger

Unterhaltend aber ist dieses Spiel mit den Klischees von einst allemal. Das Hauptverdienst kommt dabei den Darstellern zu, die vorab stimmlich für etliche Höhepunkte sorgen. Jason Kim, der für den Evergreen «Dein ist mein ganzes Herz» mit offenen Szenenapplaus regelrecht bestürmt wird, beweist mit viel Schmelz und Strahlkraft, dass das Luzerner Theater wieder über einen viel versprechenden Tenor im Ensemble verfügt. Madelaine Wiboms Sopran macht mit verführerischem Schmelz und resoluter Schärfe Lisa zur schillernden Leidensfigur in diesem Kultur- und Liebeskonflikt. Und Arnulf Seiler erweist sich in der Doppelrolle als Vater in Wien und Sittenwächter in China als unverwüstliches Luzerner Operetten-Urgestein. Susanna Maria-Kizi (Mi) und Martin Nyvall (Gustav) steuern jene komödiantische Leichtigkeit bei, die der Produktion als Ganzes manchmal fehlt.

Das freilich hängt auch damit zusammen, dass Lehár neben jazzigen Musicalanklängen immer wieder einen opernhaften Ton anschlägt. Wie das Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Rick Stengards diesen mit sinfonischem Elan und Raffinesse ausstattet, gehört zu den Pluspunkten der Produktion, die vom Premierenpublikum nicht stürmisch, aber vorbehaltlos gefeiert wurde.