Wege der Ehre – Wege des Glücks

Herbert Büttiker, Der Landbote (24.10.2006)

Ernani, 21.10.2006, St. Gallen

Eine Frau, drei Rivalen: Verdis Stimmenquartett findet in «Ernani» den musikalischen Zündstoff für ein heissblütiges Drama. Das «Kostümfest» trägt dazu kaum etwas bei.

Wenn es die Idee war, mit einer fast durchwegs italienischen Besetzung eine der Hauptforderungen einer Verdi-Aufführung zu erfüllen, die Einheit von Kantabilität und Deklamation, von Klang und Wortsinn zu erreichen, so hat das Theater St.Gallen das Ziel weitgehend erreicht: Zu hören ist eine Aufführung von intensiver dramatischer Prägnanz im Musikalischen, getragen von einem dynamisch differenziert agierenden Dirigenten (Alberto Hold-Garrido) und einem wohldisponierten Orchester. Präzision und kompakter, unforcierter Klang zeichnen auch die Chöre, darunter der Theaterchor Winterthur, aus.

Die Solisten gehen die herausforderungsreichen Partien mit Verve an und bilden zusammen ein stimmiges Ensemble. Raffaela Angeletti (Elvira) verfügt über einen Sopran von ungewöhnlicher Fülle, satter Tiefe und sicherer, nur in den exponiertesten Momenten gelegentlich auch forcierter Höhe. Juremir Vieira (Ernani) kann zumal in den lyrischen Kantilenen seinen Tenor geschmeidig entfalten und meistert auch die dramatisch expansiven Momente. Ivan Inverardi (Don Carlo) hat Umfang und Fülle des virilen Verdi-Baritons in beneidenswertem Mass, setzt die Stimme aber forcierend und grimassierend sehr unausgeglichen ein. Vor allem enttäuscht er in der Kaiser-Szene mit einem Vokaleinsatz, der mehr penetrant als magistral wirkt.

Überlegen bringt Roberto Scandiuzzi (Silva) für seine schillernde Figur seinen timbrereichen Bass ins Spiel, beeindruckend im Wechsel von resignativer Kantilene und ehrenmännischer Allüre. So bestimmt gefügt sich das Ensemble vom Solo bis zum Quartett der Stimmen die musikalische Dramatik gibt, so heterogen wirkt es schauspielerisch: Neben der charaktervollen Darstellung Scandiuzzis, der natürlichen Ausstrahlung Vieiras wirkt Angelettis Spiel mitunter reichlich geziert, dasjenige von Inverardi arg überzeichnet. Zu tun hat das auch (um da nicht von Regie zu sprechen) mit der Ausstattung, die in den opulenten historischen Kostümen die Schönheit bis zur Karikatur treibt und die wattiert wirkenden Figuren in einem aufpolierten Ambiente plakativ ausstellt.

Falsche Posen

Dass Inszenierung, Ausstattung und Kostüme von Massimo Gasparòn nicht mehr wollen, als das konzentrierte Musikdrama im Zeitkolorit möglichst einfach und deutlich ins Bild zu rücken, hat als Ansatz – gerade für Verdis Realismus – nach wie vor Gültigkeit, aber es ist auch eine Herausforderung, die im Detail zu bewältigen wäre. Mit ihren riesigen Schlapphüten könnten Ernani und seine Banditen auch in einer Comic-Variante der Oper auftreten. Die stimmungsvollen Bilder in Silvas Schloss drohen in einen blutleeren Ästhetizismus zu kippen. Klotzig wirkt die Szenerie im Dom zu Aachen, und dem Geist der Krönung zum Kaiser ganz zuwider ist der Einfall, Don Carlos mit Zepter und Reichsapfel auf einem Sarkophag (!) posieren zu lassen.

Der kurze vierte Akt mit dem Schlussterzett hat dann wieder seinen optischen Reiz, der an die schönen Momente der Inszenierung anknüpft und mit dem, wie erwähnt, auch sängerisch unbefriedigenden dritten Akt – im Kreuzpunkt von persönlichem und politischem Ethos immerhin das Sinnzentrum des Stücks – etwas versöhnt. Umfassend war der Premierenapplaus für alle Beteiligten.