Wienerisch für Zugereiste

Bettina Kugler, St. Galler Tagblatt (27.12.2006)

Wiener Blut, 22.12.2006, St. Gallen

Nachhilfe im Dreivierteltakt: Das Theater St. Gallen schwelgt mit «Wiener Blut» im Walzerreigen

Einen Ausflug in die gute alte Zeit gönnt Regisseur Volker Vogel dem Operettenpublikum in «Wiener Blut»: Ein leicht verdauliches Zuckerl, mit Unschuldsmiene dargeboten – und ohne Zahnschmerzen danach.

Man soll ja keine Gelegenheit auslassen, etwas dazuzulernen. Mag sein, dass doch in dieser Hinsicht früher manches besser war, in den Zeiten, als der Kongress zum Tanzen ging, statt Politik zu treiben. In jener walzerseligen Epoche, als kleine Duodezgesandte mit wenig diplomatischem Geschick gleich mehreren Mamsells am Rockzipfel hingen und am Ende vielleicht eine Lektion erteilt bekamen, doch sicher nicht eines Besseren belehrt wurden.

Sagen wir, wie es ist: Pures Vergnügen sollten die Operetten von Walzerkönig Johann Strauss sein – fürs Herz, die Lust am Remasuri, am turbulenten Hin und Her der Gspusis, Trutscherl, Flitscherl, Spirifankerl, bevorzugt im Dreivierteltakt.

Mit Übersetzungshilfen

Der liegt Regisseur Volker Vogel durchaus im Blut, auch wenn er nicht in Wien geboren ist: Seine Inszenierung am Theater St. Gallen lässt die Figuren auf der Bühne ohne Stolpern und Schlingern über das Parkett einer perfekt geölten Verwechslungskomödie walzern. Sie ist im Detail bis ins natürliche Spiel der Statisterie so ausgefeilt, im Ganzen so aus einem Guss, dass nichts mehr an ein blosses Potpourri, einen bunten Strauss schöner Melodien erinnert. Doch denen da draussen vor der Tür zum Ballsaal des Grafen Bitowski, den Zugereisten, Saft- und Kraftlosen greift die Regie vorab und zwischendurch mit Übersetzungshilfen unter die Arme: auf dass wir sprachlich nicht aus dem Tritt geraten, mit oder ohne Heurigen.

Dabei macht gerade die babylonische Sprachverwirrung der Kleinstaaten-Casanovas in «Wiener Blut» neben den beschwingten Tanzmelodien ja einen nicht unwesentlichen Reiz dieses Pasticcios aus: Gerade weil die Herren von Reuss-Schleiz-Greiz ein bisschen deppert und begriffsstutzig sind, kann das Verwirrspiel erst seinen Lauf nehmen. Und überhaupt, «i sog wias is», darf man es mit dem Schmäh der «echten» Wiener auf der Bühne mit Ausnahme des Kammerdieners Josef (rundum wendig: Andreas Sauerzapf) nicht so genau nehmen.

Womanizer trifft Pupperl

Mag Angela Fout als Gräfin Gabriele auch stimmlich nicht mit Selbstbewusstsein geizen, gesprochen klingt noch ihr Hochdeutsch sehr amerikanisch. Auch Frauke Schäfer, als Demoiselle Cagliari schauspielerisch ganz Primaballerina, lässt in den Dialogen arge Zweifel daran aufkommen, dass sie tatsächlich Tochter des Karussellbesitzers Kagler aus dem Prater ist – ganz im Gegensatz zum Herrn Papa (Helmut Wallner), der geradewegs aus einem Nestroy-Stück leicht angesäuselt im Kasinogarten von Hietzing aufgewacht zu sein scheint. Doch ist Frauke Schäfers Sopran für ihre Partie wie geschaffen: brillant und dabei nicht zu schwer.

Wie wunderbar sich Graf Zedlau als Zugereister im Schmelztiegel Wien assimiliert hat, zeigt sich am geschmeidigen Zungenschlag von Jörg Schneider. Nimmt man ihm auch den Womanizer nicht so recht ab, bieder und brav, wie er sich bei den Damen anstellt, so hat sein samtweicher, in der Höhe unforciert runder Tenor doch zweifellos Verführungspotenzial. Als liebenswerter Trottel made in Thüringen macht sich Fürst Ypsheim (Fritz Hille) Hoffnungen auf eine bessere Hälfte: mit einer komischen Korrektheit, die Wiener Blut gefrieren lässt.

Ironie der Tänzer

Allein Iva Mihanovic redet, wie einem Wiener Probierpupperl der Schnabel gewachsen ist, dazu wirbelt sie unermüdlich im Galopp den feinen Herrschaften vor der Nase herum und tanzt der Kompanie (Choreografie: Susanne Kirnbauer) auf dem Ball so vollendet tapsig aus der Reihe, dass es schon beinahe subversiv und politisch wird. Einen Schuss Ironie mischen die Tänzer unter den ansonsten höchst nostalgisch umgesetzten Jux auf der Bühne, den Vogel und Peter Tilling am Pult des Sinfonieorchesters gekonnt jenseits der Kitschgrenze manövrieren – vielleicht auch, weil es mit Herz und Schmerz da oben ohnehin nicht so weit her ist. Das Orchester setzt dazu präzis die Pointen, nimmt es leicht und so gepflegt wie die stilvollen Interieurs von Rainer Sinell, die fesche Garderobe von Marion Steiner.

Leicht wie Konfekt

Statt, wie es inzwischen Mode ist, die Soap in ihrer Schmierigkeit knallbunt zu überzeichnen, das Zuckersüsse bloss als Lockmittel zu sehen, um desto gnadenloser den satirischen Bohrer anzusetzen, gönnt Vogel dem Publikum vor und nach den Festtagen ein leicht verdauliches Schmankerl. Nach der poppigen «Périchole» ist «Wiener Blut» ein Schmeichler für Auge und Ohr, ein Ausflug in die gute alte Zeit, als Villen auf der Bühne nicht verlottert aussehen mussten, Grafen stattlich und Damen fesch aufgeputzt daherkamen und ein Operettenabend noch süss wie Konfekt sein durfte. Ohne dabei ständig auf seine Klebrigkeit hinweisen zu müssen.