Aktualisierte Operette

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (25.09.2006)

La Périchole, 23.09.2006, St. Gallen

Offenbachs «Périchole» in St. Gallen

Ein Vizekönig, der das Volk mit Festen ködert, seine Popularität durch minuziös geplante «Inkognito»-Auftritte testet und eine arme Strassensängerin als Mätresse in seinen Palast holt: Diese Gegebenheiten machen es vergleichsweise leicht, «La Périchole» ohne den sonst bei Offenbach- Operetten meist üblichen Verlust an kritischem Potenzial aus dem fernen Lima des 18. Jahrhunderts ins heutige Europa zu transferieren. Und wenn dazu die aktualisierten Dialoge zwecks besserer Verständlichkeit deutsch gesprochen und die Gesangsstücke französisch intoniert werden, ist «La Périchole» Herrschersatire und prickelnder Musikgenuss in einem.

Ulrich Michael Heissig, als Kabarettist unter dem Namen Irmgard Knef bekannt, und Thomas Engel machen aus dem Vizekönig Don Andrès einen unschwer identifizierbaren Presidente und Cavaliere, der sich als Führer von «Forza Lima» mit einer von Selbstlob triefenden Fernsehansprache einführt und dann in lächerlichen Verkleidungen - zuerst als Fussballer, zuletzt als bärtiger Gefängniswärter - auftritt. Bodo Schwanbeck zieht da alle Register seines Komikertums, obwohl ihm die ölige Glätte des Rollenvorbilds darstellerisch und vokal eher fern liegt.

In ihre Textfassung wie in ihre Inszenierung bringen Heissig und Engel immer wieder kabarettistische Elemente ein, zum Teil mit spezifischem Ostschweizer Bezug. Manchmal tun sie dabei auch des Guten zu viel, so dass sich der Abend in die Länge zieht. Doch das spielfreudige Ensemble, die Phantasie des Regieteams und des Bühnen- und Kostümbildners Dirk Immich halten das Publikum bei Laune. Der szenische Aufwand - unter anderem mit einer kleinen Gauklertruppe und einer Schar helvetischer Cancan-Tänzerinnen - wirkt opulent, obwohl die Dekorationen denkbar einfach gebaut sind: auf Treppenstufen die Bar der «Drei Cousinen» und weitere pittoreske Kulissen-Häuschen im Armenviertel, Wände mit Rosenmotiven im Palast, eine graue Wand mit Gittertor im Gefängnis für renitente Ehemänner, wo der im Vollrausch mit seiner geliebten Périchole zwangsvermählte Piquillo landet, nachdem er den vermeintlichen präsidialen Nebenbuhler beleidigt hat.

In diesem mausarmen Strassensängerpaar zeigt sich der andere, der gefühlvolle, leidenschaftliche und zärtliche Offenbach. Auch wenn der Mezzosopran von Karine Motyka in der Höhe gelegentlich scharf klingt: Ihre vokale Geschmeidigkeit, ihr frisches Timbre und ihr Temperament ergeben ein lebendiges, sympathisches Bild der Titelfigur, die sich bei der Premiere im Theater St. Gallen unvermutet nicht nur von zwei, sondern von drei Liebhabern umworben sah. Nachdem Neal Banerjee bei den Endproben einen Unfall erlitten hatte, konnte er, auf Krücken an der Rampe, dem eifersüchtigen Piquillo lediglich seinen leichten, elegant geführten Tenor leihen, als Darsteller auf der Bühne vertrat ihn der Koregisseur Thomas Engel. - Nach dem szenisch belanglosen, sängerisch zum Teil unzulänglichen «Don Giovanni» am Saisonbeginn beweist das St. Galler Theater mit Offenbachs Opéra bouffe wieder sein Flair für die leichte Muse. Sébastien Rouland trägt mit seinem straffen, zugleich beschwingten und flexiblen Dirigat entscheidend zum Gelingen bei.