Zwang zur Ästhetik

Verena Naegele, Basler Zeitung (16.01.2007)

Semele, 14.01.2007, Zürich

Eine ästhetische Inszenierung und eine gleissende Musik machen das Changieren zwischen Oper und Oratorium deutlich.

«No oratorio, but a bawdy opera.» Dieser Spruch des Händel-Zeitgenossen Charles Jennens über die «obszöne» Oper «Semele» prangt auf der ersten Seite des Programmhefts. Tatsächlich wurde das Stück damals als «zotenhaft» angegriffen und bald vom Spielplan abgesetzt. Darauf hat Karin Beier 2003 in Basel ihre witzig-pointierte Inszenierung des Stückes aufgebaut. Doch bei Robert Carsen bleibt die Obszönität ein Lippenbekenntnis. Ein omnipräsentes Bett und ein wackelnder Busen machen noch keine schlüssige Dramaturgie.

Carsen und Ausstatter Patrick Kinmonth setzen auf schön beleuchtete und filigran-dezent ausgestattete Bilder mit Sternenhimmel, es gibt keine göttlich gesteuerten Naturgewalten, höchstens ein dezentes Theaterlüftchen. Damit wird das oratorische Element betont, dem Händel’schen Prinzip der Verdichtung nachgespürt, bei dem die fehlende Bühnenhandlung durch eine quasi handelnde Musik ersetzt ist.

PARODIE. Die sprudelt vor Ideen, Reichhaltigkeit und Finesse: Herkömmliche Da-capo-Arien wechseln mit dramatisierten Accompagnato-Rezitativen, zerfliessende Arienformen mit subtiler Harmonik gipfeln in einem Quartett, in dem erstmals in der Oper überhaupt unterschiedliche Gefühlswelten in einem einzigen Stück musikalisch aufeinandertreffen. Händels Figuren wachsen über ihre Affektgebundenheit hinaus und werden zu Personen, die man wie die Götter parodieren kann.

Hier setzt Carsen mit der eifersüchtigen Juno und ihrer Begleiterin Iris ein paar schöne Slapstick-Farbtupfer. Birgit Remmert mimt wunderbar die rasende «Queen» und hetzt Iris im biederen englischen Kostüm durch die Gegend, von Isabel Rey köstlich gespielt und stilsicher gesungen. Charles Workman ist ein fader Jupiter, dessen hart klingender Tenor einen kaum vom Hocker reisst. Etwas farblos bleiben auch Athamas (Thomas Michael Allen) und die eifersüchtige Ino, von Liliana Nichiteanu mit zu wenig schlankem Profil gesungen.

STATIK. Die Augen und Ohren richteten sich denn auch ganz auf Cecilia Bartoli als Semele und William Christie, der dem Orchester fulminante Töne entlockte, dessen Wackler und Intonationstrübungen (Hörner) aber auf zu wenig Probezeit schliessen liessen. Auch der Chor sorgte für klangsinnliche Hörerlebnisse. Und «die Bartoli»? Im ersten Teil wirkte sie, von der Regie statisch geführt, wie ein biederes Mädchen, drehte dann aber nach Bartoli-Manier mächtig auf. Einzigartig, wie sie Ausdruck und virtuose Koloratur in der selbstverliebten «Spiegelarie» zu verschmelzen vermag.