Bühnentriumph im Untergang

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (16.01.2007)

Semele, 14.01.2007, Zürich

Händels «Semele» mit William Christie und einer überragenden Cecilia Bartoli am Opernhaus Zürich

Musikalischer Hochgenuss, ästhetisch, aber zwiespältig angerichtet: Einmal mehr überzeugt das Opernhaus Zürich mit brillantem Orchester und einer blendenden Besetzung. Die Inszenierung aber bleibt routiniert unentschieden.

Cecilia Bartoli ist Semele. Und sie ist voll und ganz die von Jupiter begehrte Frau, die schliesslich an ihrer Vermessenheit, Unsterblichkeit zu fordern, zugrunde geht: mit vollem Engagement, das diesmal körperlich weiter geht denn je; mit wahnwitzigen Koloraturen, aber auch wunderbar schlichten und leisen Tönen.

Aus einer anderen Vokalwelt

Bartolis Wirkung hat, nachdem sie einige frühere Unarten (wie die schnaubende Atmung und verhauchte oder gurgelnde Töne) völlig abgelegt hat, nochmals zugenommen. Setzt sie nach der Pause zu Semeles beiden grossen Arien an, hat sie ihr Publikum total im Griff.

Verblendet von der eifersüchtigen Juno, besingt sie selbstverliebt ihre Schönheit, gleichzeitig divenhaft wie dieses Verhalten selbstironisch persiflierend; dabei steigert sie sich in immer noch virtuosere lyrische Koloraturen. Wenn sie Jupiter nicht minder eindrücklich wüst sagt, weil der ihr den Wunsch, ihn in seiner echten Gestalt zu sehen, ausreden will, klingen ihre Verzierungen angriffig, ja aggressiv wie aus einer anderen (Vokal-)Welt. Bartoli stellt ihr Können lustvoll aus, aber immer zuerst in den Dienst der Rolle und des Stücks. Natürlich misst ihr dieses die Filetstücke zu – schliesslich will das Stück in bester moralisierender Manier zeigen, wie Semele für ihre Hybris bestraft wird.

Atemberaubende La Scintilla

William Christie und das hervorragende Orchestra La Scintilla sorgen aber dafür, dass da viel mehr ist als die Show einer Diva. Mit welcher Feinheit musiziert wird, wie genau Affekte ausgeformt und Da-Capo-Teile auch instrumental variiert werden, ist atemberaubend. Die sicht- wie hörbar gelöste Stimmung überträgt sich mit den ersten Tönen aufs Publikum. Mit homogenem Klang setzt auch der Chor, der in dieser Oper «After the Manner of an Oratorio» (Händel) für einmal dankbarere Aufgaben erhält als in anderen Barockopern, erfreuliche Akzente.

Dafür, dass ein vollgültiges Opern-Ganzes entsteht, sorgt auch Charles Workman als Jupiter. Ein verführerischer Tenor-Gott im hellen Anzug, der die gefährliche Anziehung seiner Figur bronzen timbriert zu transportieren weiss. Dabei liegen Workman vor allem die lyrischen, verführerischen Passagen. Schade nur, dass in der schnellen Koloraturarie die Stimme verhärtet.

Auf schmalem Göttergrat

Dass die Rolle trotzdem wenig konturiert wirkt, liegt mehr an der Regie denn am Sänger. Wo Semele als sehr menschliche Figur bei Bartoli durch ihre Natürlichkeit bezwingt und Juno, Jupiters Ehefrau und Gegenspielerin, karikiert wird, gerät der Grat für die mythische Gestalt des Göttervaters schmal bis zur Unverbindlichkeit. Soll man Jupiter jetzt belachen wie seine Queen-Gattin (Birgit Remmert) mit ihrer Gouvernante (Isabel Rey) in ihrem komödiantischen Kabinettstücklein – oder ihn als Befreier aus der erstarrten Adelswelt von Vater Cadmus (Anton Scharinger) bewundern?

Regisseur Robert Carsen, der in Zürich eine bereits 1996 in Aixen-Provence entstandene und seither an diversen Orten zu sehende Inszenierung neu einstudiert hat, oder, wie der Besetzungszettel verrät, das von einer Assistentin erledigen liess, hatte wohl barockes Welttheater im Sinn, als er sich weder auf die Tragödie noch die Komödie festlegen wollte.

Wo Barbara Beier 2003 am Theater Basel das Stück eindrücklich radikal auf die tragische Haupthandlung konzentrierte, setzt Carsen im Einheitsbühnenbild von Patrick Kimmonth mit seinem dominierend, im leeren Raum stehenden klassischen Portal auf schöne Bilder, die (wie bei der «Weltübergabe») manchmal nahe am Kitsch vorbeischrammen, führt dabei die Sängerinnen aber zu wenig genau. Dank der überragenden Bühnenpräsenz der Bartoli fällt das diesmal nicht allzu sehr ins Gewicht.