Offenbach ist auch ein Ostschweizer

Herbert Büttiker, Der Landbote (26.09.2006)

La Périchole, 23.09.2006, St. Gallen

Einen Offenbach-Abend voller Witz und vif musiziert bietet St. Gallen in einer eige nen französisch-deutschen Fassung von «La Périchole».

Fähnchen, Plakate, TV-Ansprache: Il Presidente von Peru hat das Volk im Griff und möchte von ihm geliebt sein, er erblickt die schöne Strassensängerin Périchole und möchte ... Dazu braucht es vor allem viel Alkohol, und damit die Mätresse in den Regierungspalast (Südflügel) einziehen kann, braucht es auch einen offiziellen Ehemann. Die Staatsdienste werden aktiv – mit viel Alkohol. Das erste Aktfinale, die Hochzeit, ist deshalb ein grosser Schwips. Das zweite ist ein grosser Krach, denn ausgerechnet Piquillo, Péricholes Geliebter, hat die üble Gattenrolle gespielt. Jetzt, nüchtern und eifersüchtig, merkt er es und macht ihr eine Szene. Infolgedessen spielt der dritte Akt zuerst im Gefängnis. Vom kerkertrüben Vorspiel zum Jubel in Freiheit geschieht dann viel. Eine wichtige Rolle spielt in der St.Galler Inszenierung ein Messerchen der Marke Victorinox.

«La Périchole» spielt in Lima zur Zeit der spanischen Herrschaft im 18. Jahrhundert. Das ist praktisch, weil Lima weit weg ist von Paris, das natürlich gemeint ist, und weil es zwanglos Gelegenheit gibt, die Musik mit spanischen Rhythmen aufzuladen. Jacques Offenbachs Ferne wird in der eigens für St.Gallen erarbeiteten Textfassung (sie betrifft nicht die französisch gesungene Musik) ganz in die Nähe und in die Gegenwart geholt (Ausstattung: Dirk Immich). Die Ostschweiz, die Schweiz überhaupt, ist für manche Anspielung gut, und am Ende droht der Diktator, der geliebt sein möchte und vom Volk enttäuscht ist, zur Strafe mit der Einführung der direkten Demokratie.

Ulrich Michael Heissig und Thomas Engel, die etwas von Kabarett und Comedy verstehen (Stichwort: Irmgard Knef), inszenieren ein Stück voller Satire, Witz und amüsantem Slapstick: Ein spielfreudiges Ensemble bietet die ganze Palette zwischen feiner Ironie und handfestem Kalauer, und es wartet dabei mit musikalischem Feinschliff auf, der es in den Ohren prickeln lässt. Mit solchem wird es auch im Orchestergraben unterstützt (welch schöne Bläserpassagen Offenbach schreibt!), und für Schwung und rhythmische Nuance legt sich der Dirigent Sébastien Rouland – sehr ausladend – ins Zeug.

Hemmung in einem anderen Punkt: Wegen einer Fussverletzung konnte Daniel Banerjee den Piquillo nur am Bühnenrand stehend singen, während auf der Bühne Thomas Engel die Partie übernahm. Er tat es witzig im Dialog und Spiel, und mit köstlich inbrünstiger Pantomime zu Banerjees schlankem und agilem Tenor. Allerdings, vom Kostüm her ist dieser Piquillo weniger proletarischer (und hungernder) Strassenkünstler als glamouröser Artist. Das gilt noch mehr für Karine Motykas goldglitzernde Périchole. Bei aller Attraktivität ihrer Erscheinung und bei allem Charme ihres samtenen Mezzosoprans wirkt sie für ein Kind der Strasse auch ein wenig zu geziert, und der Südflügel macht sie ganz zur Dame.

À point

Mit Gesang und Spiel «à point» warten viele weitere Mitwirkende im figurenreichen Stück auf: Die drei «Cousinen» (Katja Starke, Andrea Lang, Giedré Povilaityté) sind eine Nummer für sich, und Bodo Schwanbeck hat all die sonoren Register für den jovialen, manchmal aufbrausenden, aber immer etwas dümmlichen Leader, dem der Hauptspott des Abends gilt. David Maze und Bernhard Bichler als Gouverneur und Geheimdienst schliessen sich ihm nach Kräften an und ernten mit. Während die Chöre (darunter auch der Theaterchor Winterthur) ein wenig konturlos die Volksmasse spielen, setzen sich Polizei- und Cancan-Truppe choreografisch attraktiv in Szene. Als alter Gefangener macht der Schauspieler Matthias Flückiger aus der kleinen Nebenrolle eine grosse Lachnummer. Kein Wunder, dass der Applaus am Ende lang und ausgelassen war.