Auf der Bühne tobt Cecilia Bartoli erst richtig

Manuel Brug, Die Welt (16.01.2007)

Semele, 14.01.2007, Zürich

Der Mezzosopran-Star hält sich in dieser Saison mit Opernproduktionen zurück. Das ist schade. In Zürich singt sie jetzt in Georg Friedrich Händels „Semele“. Erstmals auf Englisch. Und mit 120 Prozent Hingabe.

Donna Leon war da. Wie zu erwarten. Schließlich ist sie der weltgrößte bekennende Händel-Fan. Außerdem liebt sie Cecilia Bartoli. In Zürich konnte sie beides in „Semele“ genießen. Und als Kirsche auf dem Barock-Kuchen gab es William Christie am Pult.

„Opera after the manner of an Oratorio“ nannte der Komponist selbst seine seltsamen aber köstlichen Zwitter nach einem älteren, niemals gespielten, aber ziemlich guten Libretto von William Congreve. „Kein Oratorium, aber eine obszöne Oper“, zürnte hingegen ein Zeitgenosse. Nach vier Aufführungen wurde diese, von einem der vielen ziemlich irdischen Jupiter-Seitensprünge erzählende Pikanterie schon wieder abgesetzt und vergessen.

Es ist kein moralisches Werk. Obwohl die fiese, ewig eifersüchtige Juno, wie auch Fricka, den Sieg über die scheinbare Wahrung der ehelichen Treue davonträgt. Das Biest Semele muss sterben, schlimmer noch: verbrennen. Durch den ungezügelten Blitz Jupiters in seiner wahren Gestalt. Das will man sehen und hören. Schließlich komponierte Händel selten so sinnlich, so farbenreich. Allein Semele darf sich in neun Arien verströmen. Es gibt ein herrliches Quartett und wunderbare Chöre. Da schnalzt man mit der Zunge.

Mehr aber noch, weil Cecilia Bartoli, die trotz des – in unseren Breiten – immer beängstigender wachsenden Netrebko-Trubels nach wie vor zugkräftigste Sängerin, an der Limmat ihre einzigen elf Operntermine in dieser Saison absolviert. Noch dazu in einer neuen Rolle, und erstmals nicht in Italienisch, sondern auf Englisch.

Was sich als geglücktes Wagnis herausstellte. Selbst Briten attestierten ihr fließend souveräne Sprachbeherrschung. Die Koloraturen ratterten so geläufig, die Legatobögen schlugen sich so geschmeidig wie im Uridiom der liebenswerten, auch nach Jahrzehnten Superstar-Dasein geerdeten, intelligenten und souverän gereiften Römerin. Da haben die vielen, immer eloquenteren englischen Interviews der letzten Jahre ihren Beitrag geleistet.

In szenischen Angelegenheiten wird das nach wie vor unverbraucht strahlende Mezzo-Mirakel allerdings stetig wählerischer. In der letzten Saison gab es – natürlich auch in Zürich, längst ihr inoffizielles Stammhaus – erstmals Händels Cleopatra in „Giulio Cesare“ sowie ihre schnippische Fiorilla als feste an der Rossini-Schraube drehende Spielmacherin im „Türken in Italien“ an der Covent Garden Opera.

Nicht, dass Cecilia Bartoli in der Zwischenzeit Diven-Däumchen gedreht hätte. Als prächtig sich zur Barock-Primadonna entwickelnde Arien-Archäologin war sie mit ihrem römischen „Opera prohibita“-Programm seit der Bochumer Ruhrpott-Premiere im September 2005 global unterwegs. 50 Mal hat sie den Abend gegeben, für sie eine satte Zahl, bis hin – trotz Flugangst! – erstmals nach Japan und Südkorea. Nun sage also kein Theaterdirektor mehr, dass sei noch terra incognita, nur etwas für Raritätensammler. Hunderttausende von Bartoli-Fans können nicht irren
Denn der gleichnamigen CD haben solche präzise terminierten Konzertaktivitäten als flankierende Live-Maßnahmen nicht geschadet.

Im Gegenteil. Nach ihren erfolgreich digitalisierten Recherchen in Sachen Vivaldi, Gluck und Salieri hat es Cecilia Bartoli auch mit diesem hinreißenden Cocktail weitgehend unbekannter Urheber und Titel-Ingredienzien in die Hitparaden geschafft.

Für den Herbst brütet sie bereits an einem neuen CD-Überraschungsei. Es wird viel spekuliert: Wird es – er war auch schon auf der letzten Silberscheibe dabei – ein reines Händel-Programm oder eine bunte Barockmischung von Monteverdi bis, sagen wir: Rossi? Die Signora hüllt sich in hinreißendes Schweigen, lächelt nur vielsagend. Ein bisschen Misterioso, ein wenig Vorfreude soll schon sein. Doch wird bei solchen, nun offenbar im Zweijahresabstand wiederkehrenden Mammutunternehmen noch Zeit für die Bühne bleiben?

Wir fordern es vehement: Schließlich ist die Spezies Bartoli ein garantiert echtes Theatergetier.

Derweil nähern sich unterstützenderweise, aber nicht gemeinsam, die Herren Pereira und Flimm. Der Zürcher Prinzipal hat schon den nächsten Premierentermin mit dolce Cecilia, aber noch kein Stück; man kramt bevorzugt im frühen oder unbekannten Belcanto, irgendwo zwischen Rossi und Pacini. Und auch der Salzburger Intendant kriegt seinen Star erst 2009. Da ist immerhin Haydn-Jahr. Über 20 Opern und Singspiele stünden zur Auswahl.

Natürlich war in Zürich eitle Freude und großer Jubel. Denn La Bartoli live ist eben was anderes als auf CD und erst in der Oper kann sie 120 Prozent geben. Was sie immer noch tut, auch nach fast 20 Karrierejahren. Freilich lange Zeit gezügelt. Daran sind allerdings drei Herren schuld.

Erstens Händel, der das kleine Luder Semele im Kampf gegen Juno und für die Unsterblichkeit erst mählich zu großer Maîtressen-Form auflaufen lässt (ihre erste, virtuose Arie war hier aus dramaturgischen Gründen gestrichen). Die scheinbar naive, ganz der Liebe Verfallene, entpuppt sich als material girl, das vom Götterkönig in der Gestalt des so sinnlich wie sensitiv singenden Charles Workman als Liebeslohn Unsterblichkeit fordert.

Zweitens lässt Robert Carsen, der seine so unterhaltsame wie effektive, ganz minimalistisch mit einer Tür, einem Bett, zwei Thronsesseln und einem Sternenhimmel auskommende Inszenierung noch einmal aufpoliert hat, die Bartoli bewusst lange links liegen. Kenner wissen, natürlich, was da noch kommt. Schon 1996 hatte dieses Musterbeispiel aufgeklärter Händel-Vergegenwärtigung in Aix-en-Provence Premiere, später konnte man die Aufführung in Antwerpen, London, Graz und Köln bewundern.

Sie hat kein Stäubchen angesetzt. Über den modernisierten Mythos, der zu den Royals verlegt wurde, lacht man zudem in der Woche des „Queen“-Filmstarts doppelt, wenn Juno in Gestalt der mit Gusto ins Komische-Alte-Fach gewechselten Birgit Remmert als Elizabeth II im vollen Ornat die „Jupiter and Semele: It’s offical!“-Schlagzeilen liest und sich samt schusseliger Vertrauter Iris (Liliana Nikiteanu) zum divinen Gegenschlag rüstet.

Wo in früheren Aufführungen etwa Rosemary Joshua die Semele als blond ambition mit Model-Maß gestaltete, da macht jetzt Cecilia Bartoli eine so anrührende wie erstaunliche Wandlung durch – von der ängstlich tastenden Liebesnovizin zum verluderten Superweib und zur reuigen Sünderin. Und das, weil – dritter im Männerbund – William Christie sie mit langsamen Tempi und nachdrücklichem Klangansatz lange auf die schönste Art domestiziert. Bis da eine singende Sophia Loren tobt.

„Spieglein in der Hand, wer kann es am Besten im Händel-Land?“ Du, du, zirpt das Echo im Graben, und so legt sich die Bartoli beglückt in die Koloraturkurve, zetert, schäumt über. Mit dieser unheiligen Cecilia bleibt also zu rechnen. Fand natürlich auch Donna Leon.