Karneval in Krähwinkel

Bettina Kugler, St. Galler Tagblatt (05.02.2007)

Die lustigen Weiber von Windsor, 03.02.2007, St. Gallen

Spitzweg-Biedermeier: Otto Nicolais «Die lustigen Weiber von Windsor» am Theater St. Gallen

Otto Nicolais romantische Oper «Die lustigen Weiber von Windsor» spielt am Theater St. Gallen Karneval. Franziska Severin und Pascale Sabine Chevroton inszenieren die Spiesserwelt liebevoll, ohne sie aber boshaft auf den Kopf zu stellen.

Auf Gartenbau versteht man sich in Windsors gepflegten Wohnvierteln. Da wird bei Fluths fleissig gegossen, den Rasen schützt bei Reichs ein biedermeierlicher Heimmäher vor Wildwuchs. Fein abgezirkelt spriessen Rosen neben Hyazinthen, und eine wackere Gartenzwergtruppe wetteifert mit Rosenkugeln um die Aufmerksamkeit des Spaziergängers.

Allein: Kein Kavalier kommt hier vorbei; wäre nicht ein armer Schlucker namens Sir John just wieder abgebrannt in jeder Hinsicht, die morgendliche Szene im Vorgarten liesse sich lang über die Ouvertüre hinaus fortsetzen. Bis an ihr Lebensende könnten die Damen Reich und Fluth den werten Gatten am Arm zum Zaun bringen, mit unverdrossenem Gattinnenlächeln verabschieden, rasch noch die Post holen und sich den Rest des Tages drinnen an der Hausbar gütlich tun.

Im Keim zeigt die Pantomime des Vorspiels bereits, wohin Franziska Severin und ihre Co-Regisseurin Pascale Sabine Chevroton die heitre Laune steuern werden. Der arme Poet nämlich, der als zerzauster Dickwanst aus dem Bett des berühmten Spitzweg-Gemäldes geschlüpft ist und auf dem Proszenium Platz genommen hat, schickt sich schon an, in den Beeten der braven Bürger herumzutrampeln. Das ist die andere Seite der Beschaulichkeit, die in der Inszenierung der St. Galler Operndirektorin, wenn auch durchgehend ironisiert, fröhliche Urständ feiern wird.

Unterm Hirschgeweih

William Shakespeares Windsor schrumpft hier zu Spiessbürgers Krähwinkel, wo sich die Ahnfrauen der Desperate Housewives bei der erstbesten Gelegenheit einen Jux machen. Mit allem Komfort und einem stattlichen Aufwand an Zubehör, versteht sich. Die beiden Ausstatter Thomas Gabriel (Bühne) und Sven Bindseil (Kostüme) jedenfalls müssen nicht aufs Budget schauen: Man hats ja schliesslich bei Fluths, und auch die Reichs werden in Kürze gut mithalten können, wenn Jungfer Anna an Junker Spärlich verheiratet ist.

Also wird der Spass bunt tapeziert und üppig ausstaffiert. Häubchen, Rüschen, Puschelnégligés gibts für die Damen, Schottenkaros für die Kampftrinker im Wirtshaus zum Hosenband; viel Tafelsilber und Leinenzeug, dazu platzgreifende Hirschgeweihe in der guten Stube. Und einen Elfenreigen, wie ihn sich Mütter einmal im Jahr wünschen: mit allerliebsten Luftgeistern und Zwergen, einem monumentalen Mondlampion und einer schwebenden Laterne für Titania und Oberon; mit Mücklein, Wespen und anderem Geflügel aus der Kinderfasnacht. Fast neidet man den kleinen Käfern aus der Theatertanzschule ihren zehenspitzenzarten Auftritt als Plagegeister.

An ihnen nimmt jedenfalls Dirigent Jiri Kout Mass, und so kitzelt Nicolais prickelnde Partitur fein und durchtrieben an der bürgerlichen Behaglichkeit. Ohne Zaunpfahl zieht das Sinfonieorchester St. Gallen im Graben alle Register zwischen italienischem Belcanto, shakespearschem Witz und deutscher Innerlichkeit – eine stilistische Bandbreite, der die Gesangssolisten des Ensembles fast durchweg gewachsen sind.

Einziger Gast ist Martin Blasius als Falstaff. Zuweilen verrutscht ihm der schwergewichtige Buffobass so wie die Kissen, die seinen Wanst andeuten; er chargiert, wie es sich nur ein aus der Mode gekommener Ritter erlauben kann, vermag aber auch stimmlich zu bluffen. Redlicher geben sich Angela Fout und Katja Starke als Frau Fluth und Frau Reich. Neben Rachlust scheint in den besten Momenten auch unterdrückte Sinnlichkeit durch – kein Wunder bei den festgefahrenen Charakteren ihrer Angetrauten (mit komödiantischem Biss: David Maze und Tijl Faveyts).

Und wenn schliesslich Anton Graner als Fenton der liebreizenden Jungfer Anna im Wald nachstellt (für die sich Andrea Lang den extralangen Applaus wohlverdient hat), stellt sich ohnehin die Frage, was gegen empfindsamen Schmelz in einer romantischen Spieloper einzuwenden ist.

Szenisch wird das deutsche Idyll hingegen bis zur Gründlichkeit karikiert: Liebevoll im Detail (bis hin zur Tagespostille «The Windsor News», die über den Ehekrach bei Fluths berichtet) wird die überschaubare Welt von Krähwinkel aufs Korn genommen. Von Zeit zu Zeit hat sie dabei durchaus Ähnlichkeit mit der saturierten, eventbegierigen Gegenwart.

Zu viel Respekt

Weiter in den tiefen Wald verstiegener Ideen wagen sich die beiden Regisseurinnen jedoch nicht vor. Bei allem Sinn für «Witz, heitre Laune», wie sie von Frau Fluth sehr theatralisch heraufbeschworen werden: zu viel Respekt haben Regie und Ausstattung vor der Popularität des Stücks, um gross daran herumzudeuteln. Sie feiern es vielmehr wie eine Prunksitzung der rheinischen Fassenacht, mit viel Helau, präzis einstudierten Gags und reichlich «Stöffsche» im Glas.

In Schwung gehalten wird das Verwirrspiel durch emsige Betriebsamkeit auf der Bühne. Zum Herumstehen jedenfalls bleibt den Akteuren kaum Zeit; das macht die Inszenierung höchst kurzweilig, hebt sie aber auch nicht über putzmuntere Biederkeit hinaus.