Zwischen Comic und grosser Komödie

Herbert Büttiker, Der Landbote (05.02.2007)

Die lustigen Weiber von Windsor, 03.02.2007, St. Gallen

Mit der grossartigen Ouvertüre verspricht die Aufführung im Theater St. Gallen nicht zu viel. Szenisch und musikalisch landen «Die lustigen Weiber» in der Sphäre der grossen Komödie.

Der unsittliche Antrag, den der gewichtige Edelmann John Falstaff unvorsichtigerweise gleich an zwei ehrbare Bürgerfrauen von Windsor adressiert, ruft zwar nach Entrüstung. Aber die «lustigen Weiber» wollen sich lieber amüsieren, und sie blamieren dabei nicht nur den dicken Ritter, sondern auch den eifersüchtigen Ehemann. Und in der Turbulenz schlägt die Tochter, statt «schnapp» zu sagen, den Heiratsplänen der Eltern ein Schnippchen. So behalten die drei Frauen heiter die Oberhand über Gier und Grimm der Männer und schlagen damit aus der Art in der biedermeierlichen Welt.

Dass Otto Nicolai (1810–1849) mit dem Shakespeare-Stoff in jener Epoche richtig lag, ist aus jedem Takt seiner Musik zu spüren, wobei der Sinn für die häusliche Revolte durchaus ambivalent bleibt, denn mit der Versöhnung ist es vielleicht nicht nur mit dem inszenierten Elfenspuk vorbei, und am Ende des Sommernachts-traums steht ja wohl wieder die Tagesordnung.

Richtig liegt nun auch die neue St. Galler Inszenierung der «Lustigen Weiber», wenn sie in Bühne und Kostüm das Biedermeier evoziert – und wie sie es tut: nicht historisch korrekt, sondern mit mehr oder weniger sanfter Verschiebung ins Groteske und mit grosser Lust am skurrilen Nebenbei; eine unerschöpfliche und reichlich benutzte Hausbar, ein geöffneter, mit Hirschkopf geschmückter Sekretär und ein Fahrrad mit Rasenmähervorsatz gehören mit zur Szenerie. Das Inszenierungsteam mit der Operndirektorin Franziska Severin an der Spitze, mit Pascale Sabine Chevroton (Choreografie), Thomas Gabriel (Bühne) und Sven Bindseil (Kostüme) fabuliert und choreografiert leichtfüssig ein Bilderbuch im Märchenstil zwischen Ludwig Richter und Walt Disney und zugleich einen abgehobenen Comic, der den realen Boden doch nie ganz verliert.

Auf dem geht ein Sir John seinen festen und doch leichten Gang. Martin Blasius beherrscht die grosse Allüre sowohl stimmlich wie auch mimisch, und mit trockenem Understatement lässt er keine Peinlichkeiten aufkommen, wenn es an die Wäsche und in den Wäschekorb geht. Wenn er hinabsteigt zum tiefen E, zweifelt niemand an der behaupteten Trinkfestigkeit. Die Frauen bieten ihm mit Verve und Schalk Paroli, mit üppigem Sopran Angela Fout, und – schön im Zusammenklang, treffend im Kontrast – mit kernigem Mezzo Kathja Starke als Frau Reich. Das Kleinod im Stimmenkonzert ist Andrea Lang, die Annas Arie im dritten Akt, wie sie gedacht ist, im Ton inniger Zuversicht (Mozarts Susanna-Szene ist da nahe) gekonnt zum hohen H führt und zum Ruhepunkt im ganzen Wirbel macht.

Glänzend besetzt sind auch die vom Strudel erfassten Männer von Windsor, allen voran David Maze als rasender Herr Fluth mit martialisch griffigem Bariton, aber auch Tijl Faveyts als despotischer Vater Reich, Thierry Felix und Neal Banerjee als die beiden Galane und – mit etwas gar leichtgewichtigem Tenor – Anton Graner als der von Anna und von der Musik begünstigte Fenton.

Seine Romanze gehört wie Annas Arie zu den unvergleichlichen Momenten, in denen Nicolai den Buffa-Stil in die romantische Oper aufgehen lässt. Der Mondchor, der die grosse Waldszene eröffnet, ist diesbezüglich der Höhepunkt der «Komisch-Phantastischen Oper». Chöre und Orchester der St. Galler Oper geben ihm, präzis und klangschön, seine ganze Suggestivität. Die Sorgfalt der musikalischen Einstudierung unter der Leitung von Jiri Kout kommt umso glücklicher zur Geltung, als sie alle Ironie der Inszenierung überflügelt. Deren Rechnung geht auf, wenn hier bunte Lampions und ein kitschiges Mondgesicht wie echter Zauber strahlen. Mit klarem Schliff, intensiver Gespanntheit und reichem Kolorit hatte der Abend mit der Ouvertüre begonnen. Am Ende wuchs er sich aus zum magischen Sommernachtstraum, und man staunte wieder einmal, was Nicolai aus den Vorgaben Webers und Mendelssohns und aus seiner Italien-Erfahrung gemacht hat.