Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (19.02.2007)
Mozarts «Zauberflöte» mit Harnoncourt und Kusej im Opernhaus Zürich
Volkstheater, Spiegel der Aufklärung, Reverenz vor den Ideen der Freimaurer - «Die Zauberflöte» ist vieles. Vor allem kann sie herzerfrischend lieb sein - man muss nur an Ingmar Bergmans Film von 1974 denken oder an die unvergessene Inszenierung von Achim Freyer in der Salzburger Felsenreitschule (1997) mit ihrer verträumten Zirkusatmosphäre, den tänzelnden Tieren und der ironisch säuberlichen Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Von all dem, Schreck lass nach, ist im Opernhaus Zürich, das sich sieben Jahre nach der letzten Inszenierung durch Jonathan Miller gleich wieder eine «Zauberflöte» leistet, in keiner Weise die Rede. Der Regisseur Martin Kusej interessiert sich nicht dafür, und er trifft sich darin mit dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, der in Mozarts Oper ein flammendes Plädoyer für die Liebe und gegen all jene reglementierenden gesellschaftlichen Kräfte sieht, die ihrer Entfaltung im Wege stehen.
Todeslandschaften
Und wo wird dieses Plädoyer gehalten? Auf der Drehbühne natürlich, auf dem sich auch der Salzburger «Don Giovanni» ereignet hat, den Kusej und Harnoncourt im Sommer 2002 miteinander erarbeitet haben. Der Einheitsschauplatz von Rolf Glittenberg erscheint als ein labyrinthisch angelegter Keller von enormen Ausmassen; nur zu verständlich, dass Orientierung hier schwerfällt. Scharfe elektrische Anlagen, die ihre Opfer fordern können, sind da ebenso versteckt wie Vorräte an Lebensmitteln und Brennstoffen - und selbstverständlich versagt sich das Opernhaus Zürich, etwa wenn Papageno zu einem Süssgetränk greift, auch keine Gelegenheit zu product placement. Ein kalter Schreckensort ist das, und allenthalben wird, wenn sich die Kostüme von Heidi Hackl als zu leicht erweisen, nach einer der bereitliegenden Wolldecken gegriffen.
Man mag sich darüber ereifern, dass «Die Zauberflöte» hier so ein böses Gesicht macht - an der Premiere hat der Regisseur diesbezüglich seine Lektion erteilt bekommen. Aber man muss in Rechnung stellen, dass mit Harnoncourt und Kusej zwei Künstler am Werk sind, die fürs Leben gern Widerstand machen und Klartext reden. So wird in dieser neuen Zürcher «Zauberflöte» nicht von der Initiation eines jungen Paares in die so edel scheinende Versammlung um Sarastro erzählt, sondern von der Zurichtung liebender Menschen: durch eine Gesellschaft, die es auf Spass abgesehen hat. Die Damen in grosser Robe freuen sich, auch auf den orangefarbenen Plasticstühlen im Luftschutzkeller Champagner gereicht zu bekommen, und die Herren geben sich der Kunst des Fechtens hin, während Feuer- und Wasserprobe nach der Art einer Fernsehshow durchgeführt werden. Am Ende erhebt sich das schwer geprüfte Liebespaar von zwei Krankenbahren, reibt sich die Augen - und dann, erst dann, darf es zum Kuss kommen.
Gewiss, da wirkt manches seltsam und sind die Seltsamkeiten zuweilen mit bissiger Konsequenz auf die Spitze getrieben - bis hin zu dem Gartenschlauch, mit dessen Hilfe Papagena, noch verwandelt, Papageno das erbetene Glas Wasser reicht. Aber: Das ist bloss, was zu sehen ist, und es bildet die Kontrastfolie. Worum es in der «Zauberflöte» nach Harnoncourt und Kusej wirklich geht, ist in erster Linie zu hören. Von den Gefühlslagen der Figuren, die an dieser verwickelten, in leicht modernisierten Dialogen erzählten Geschichte teilhaben - von den Nöten der Liebe und ihrer Erfüllung berichtet die Musik. Eine Musik, die von Harnoncourt zusammen mit den Solisten auf der Bühne, dem von Ernst Raffelsberger einstudierten Chor und dem Orchester der Oper Zürich zu einer Reichhaltigkeit, einer Wärme und einer Ausdrucksstärke sondergleichen gebracht wird.
Stimmengeflechte
Als Harnoncourt 1986 seine erste Zürcher «Zauberflöte» dirigierte, damals noch an der Seite von Jean-Pierre Ponnelle, wurde der neue Umgang mit dem Notentext gerühmt. Vieles von dem ist inzwischen so weit Allgemeingut geworden, dass die ältere Praxis, die nach wie vor lebt, geradezu antiquiert wirkt. Doch auch Harnoncourt ist weitergegangen, und so bietet seine Lesart des Jahres 2007 nochmals neue Eindrücke. Noch deutlicher neigen die Tempi zur Langsamkeit, was vielleicht dem Fortgang im Wege steht, was aber auch Gelegenheit gibt, sorgsam in die Partitur hineinzuhören. Und dabei zu entdecken, was die Bassetthörner, diese tiefen Klarinetten, zur Farbgebung beisteuern, wie sich Fagotte und Bratschen zu einer Mittelstimme verbinden - ja wie überhaupt weniger der runde Gesamtklang als das Geflecht der Stimmen im Vordergrund steht. Kammermusik in grosser Besetzung, das ist hier zu ganz eigener Verwirklichung gebracht. Daneben agiert Harnoncourt mit gewohnter Emphase als Interpret und unterstreicht: etwa dort, wo der Heuchler gebrandmarkt wird, mit einem gewaltigen orchestralen Paukenschlag.
Nicht frei von Gefährdungen ist das Vokale. Nachdem Lászlo Pólgár abgesagt hatte, wurde erneut Matti Salminen gerufen - ein Urgestein von Sarastro, der hier freilich seine Stimme sehr sensibel führt. Christoph Strehl soll über Nacht erkrankt sein; er wurde an der Premiere durch Jonas Kaufmann ersetzt, einen blendenden Tamino. Während Julia Kleiter eine berückend klangschöne, aber etwas unfreie Pamina gibt. Elena Mosuc (Königin der Nacht) nimmt ihre beiden Arien ausgesprochen dramatisch, also fern jener Mechanik, die hier gern zum Tragen kommt; in ihrer Agilität gelangt sie aber doch an die Grenzen. Eine Entdeckung Ruben Drole als Papageno: was für eine klangvolle Stimme, was für ein natürliches darstellerisches Talent. Und Eva Liebau ist ihm eine reizende Papagena, wogegen die Gefährlichkeit des Mitläufers Monostatos bei Rudolf Schasching merklich unterzeichnet bleibt. Bis hin zu den Solisten des Tölzer Knabenchors, die auf Wunsch des Dirigenten bei den aufgezeichneten Vorstellungen die Zürcher Sängerknaben ersetzen, wirkt das Ensemble zuverlässig. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.