Frauen-Power vor der Hochzeit

Walo von Fellenberg, Blick (18.11.2006)

Le Nozze di Figaro, 16.11.2006, Bern

Regisseur Stephan Müller setzt der Oper «Le Nozze di Figaro» von Wolfgang Amadeus Mozart starke feministische Akzente auf. Premiere war am Donnerstag im Stadttheater Bern.

Der szenische Auftakt will revolutionär sein. Erst werfen johlende Gören aus dem dritten Rang Flugblätter mit dem in ihrem Sinne abgeänderten Titel «Le Nozze di Susanna» ins Publikum. Hernach kann sich dieses während der Ouvertüre Gedanken darüber machen, warum es sich eine riesige Projektion des Bildes «L'Origine du Monde» anschauen muss, das der Maler Gustave Courbet (1819-1877) für männliche Blicke gemalt hat. Zu sehen ist der Unterleib einer Frau.

Erst danach beginnt die Geschichte um den Grafen Almaviva, der um das bürgerliche Mädchen Susanna wirbt. Sie steht kurz vor der Hochzeit mit Figaro. Susanna und die Gräfin verschwören sich und führen den Grafen rücksichtslos an der Nase herum. Dank solcher Frauen wird es bald keine Grafen mehr geben, die das traditionelle Recht auf die erste Nacht mit einer Untertanin wahrnehmen.

An der Befreiung von solchen gesellschaftlichen Fesseln hat Figaro in Müllers Interpretation erst in zweiter Linie teil. Entsprechend spielt und singt Tuomas Pursio diesen eher plump und kämpft Rudolf Rosen als Graf immer offensichtlicher auf verlorenem Posten. Auf der anderen Seite fühlen sich Simone Nold als Gräfin und Anne-Florence Marbot als Susanna in ihrem Ränkespiel und ihren Verkleidungen immer selbstsicherer.

An der Premiere blühte die Aufführung erst nach der Pause richtig auf. Der Szenenapplaus wurde herzhafter, bis sich zum Schluss das Theater ganz in den Bann von Mozarts versöhnender Musik ziehen liess.