Im Keller der suchenden Seelen

Ljubiša Tošic, Der Standard (20.02.2007)

Die Zauberflöte, 17.02.2007, Zürich

Nach dem "Don Giovanni" und "La clemenza di Tito" präsentierten Kušej und Harnoncourt eine weitere gemeinsame Mozart-Deutung: Wobei die Regieideen Stückwerk bleiben

Spitzt man es definitorisch zu, dann kann man behaupten, das Züricher Opernhaus ist das, was Wiener Staatsoper und Theater an der Wien gerne wären. Es spielt nahezu täglich wie die Staatsoper (sonntags gibt es mitunter gar zwei Vorstellungen); es hat aber mitunter noch mehr Premieren als das Theater an der Wien, das immerhin monatlich eine neue bringt. Es hat zwar keine Zauberflöte für Kinder, in welcher der Direktor einen Baum spielt, dafür nun aber wieder eine neu inszenierte, da sein Direktor, Alexander Pereira, der Meinung ist, nach sechs Jahren eine frische Version bieten zu müssen. Zwecks Repertoireauffrischung. Aus Wiener Sicht betrachtet – paradiesisch. Zudem: Hat das Züricher Opernhaus keine Wiener Philharmoniker, kommt Nikolaus Harnoncourt dennoch gerne in die Schweiz; immerhin jemand, den nicht einmal die freundlichen Vermittlerdienste des Wiener Orchesters ins Haus am Ring bringen konnten. In dieser schon langen Ära. Die Garderobe ist jetzt immerhin wie in Zürich auch in Wien gratis, das ist jedoch kein wirklicher Trost.

Immer wieder Mozart

Dass Zürich nun, nach dem Mozartjahr, ungebrochenen Mozart-Fleiß an den Tag legt – im März ist der Figaro dran – scheint allerdings heikel und weniger ein weiterer Pluspunkt gegenüber Wien. Irgendwas schreit da grundsätzlich nach einer Mozart-Pause. Und nach dieser Zauberflöte, erarbeitet von einem Duo, das in den letzten Jahren in Salzburg viel und ganze Amadeus-Arbeit geleistet hat, ist der Eindruck nicht unbedingt schwächer geworden; den Regie-Ideen von Martin Kušej scheint das verflossene Mozartjahr in jedem Fall seine Schatten gewissermaßen hinterher zu werfen. Vieles wirkt da letztlich bekannt.
Als Hochzeitspärchen stehen sie da, Tamino und Pamina, und man denkt sofort an Stefan Herheims Salzburger Entführung aus dem Serail, wo es ähnlich beginnt, und ähnlich weitergeht, wenn nach dem Kussversuch des Brautpaars eine kleine Turbulenz die Situation verwandelt und sich die Figuren in einen Albtraum gerissen sehen, in welchem das Werk quasi von Ängsten und Wünschen der beiden zum Altar Schreitenden übermalt wird.

Labyrinth der Symbole

Die unwirtliche Grundtönung der Kušej-Version ist durch ein Labyrinth aus hohen Mauern hergestellt; alles dreht und bewegt sich (wie bei Kušejs Giovanni in Salzburg), allerlei gruselige Symbolik schwirrt umher. Da irren Minenarbeiter mit Äxten durch die Gegend, auch blutbeschmierte Chirurgen. Da sind schwarzen Raben, und die Schlange ist zwar klein – sie tritt jedoch vervielfacht auf, bedroht ein ganzes Kollektiv.

Die drei Damen sind auch hier gewohnt hilfreich, doch so blind wie kokett. Tamino finden sie sehr reizvoll. Aber sie verschließen auch Papageno per Kuss den Mund. Tamino (statt Christoph Strehl singt Jonas Kaufmann und trägt etwas dick auf) ist auch in dieser düsteren Welt kein Kostverächter. Da wird zwar die Frau, die zum Bildnis passt, gesucht. Zugleich aber ist da auch ein Verhältnis mit deren Mutter. Kreuzen andere Damen seinen Weg, bleibt auch für diese Sympathie übrig.

Doch ist die Grundstimmung gar ernst. Ein heiterer Papageno (tadellos Ruben Drole), der seine Noten einmal besoffen lallt, schein da gar nicht hineinzupassen. Es kollidiert das Heitere mit dem Gruseligen. Dazwischen wandert und leidet Pamina (delikat Julia Kleiter) als am Ideal der reinen Liebe Festhaltende.

Sehnsuchtsmonster

Die anderen: Monostatos erscheint als putziges, schwarzes Sehnsuchtsmonster, die Königin der Nacht (etwas gar angestrengt Elena Moºuc) als geplagte Dame in Abendrobe, einmal gar aus dem Kühlschrank kommend, um sich an ihre Tochter zu wenden. Und Sarastro in der Version des souveränen Matti Salminen? Eine Mischung aus Geschäftsmann, Pate und Modeschöpfer, eine Figur mit Grandezza, aber durchaus bereit, Monostatos (intensiv Rudolf Schaschnig) zum Zwecke der Bestrafung in eine höchst empfindliche Stelle zu treten. Überraschende Augenblicke, Einfälle gibt es hier; irgendwie bleibt aber vieles Stückwerk, ein Spiel, das sich an der Umdeutung der Räume gefällt.

Ob man nun in einem Keller, einer Lagerhalle, einer Küche oder bei einem dekadenten Fest ist, es wälzt sich die Sache besonders nach der Pause träge dahin, erleuchtet nur durch punktuelle Ideen, die das heikle Werk nicht tragen können. Eine der Prüfungen etwa: Da wird es filmisch, da sieht man das Pärchen in einem Mercedes unter Wasser nach einem Ausweg aus der luftknappen Situation suchen. Hier wird es lebendig. Ansonsten bleibt die abendlange Behauptung von der Seele – als gruseligem Land.

Harnoncourt bietet dazu passend Extreme, da einen asketischen Akkord, dort seidigen Schönklang; immerzu aber wundersame Details, überraschende Schlenker und Tempi, mit denen er quasi mit_inszeniert: Pamina ist mitunter eher zornig als traurig, wenn das Tempo angezogen wird. Die Königin der Nacht wirkt als gequältes Wesen und weniger als gefährliche Zornfigur aus einer anderen Sphäre. Das kommt rüber, auch wenn das Orchester mitunter falsch spielt. Dennoch: Jubel für den Klang, Publikumszorn für Kušej. Da ist Zürich eine Verwandte von Wien.