Walter Weidringer, Die Presse (18.02.2007)
Harnoncourt schnitzt seinen Mozart schärfer, Martin Kušej erzählt einen symbolistischen (Alb-)Traum.
Sie werden ihn lieben, den Jonas!“, versprach, nein: trug Hausvater Alexander Pereira dem Zürcher Publikum auf – und pflichtschuldig liebte es Jonas Kaufmann. Schließlich hatte der deutsche Tenor, nachdem sein Kollege Christoph Strehl am Premierentag(!) wegen Bronchitis ausgefallen war, „wie ein Wahnsinniger“ (Pereira) geprobt, um als Tamino den Abend zu retten. Mag sein, dass aufgrund dieser Umstände seine relativ dunkle, heldische Stimme dann und wann in den Hals rutschte – darstellerisch waren jedenfalls keine Schwächen zu bemerken im Umgang mit einer doch recht ungewöhnlichen Inszenierung.
Womit wir schon, Harnoncourt hin oder her, beim Hauptthema der Produktion wären. Vielleicht hätte ja Pereira auch ein paar ähnlich begeisterte Worte über „den Martin“ fallen lassen sollen. Den mochte man nämlich gar nicht besonders, hielt ihn wohl für den eigentlich „Wahnsinnigen“: Zentnerweise prasselten zuletzt die Buhs auf Regisseur Martin Kušej und seine Mitstreiter Rolf Glittenberg (Bühne) und Heidi Hackl (Kostüme) nieder. Dabei ist das einzig Radikale an Kušejs Sicht der „Zauberflöte“ die Gründlichkeit, mit der er die Story allen ägyptisch-freimaurerischen und aufklärerischen Brimboriums entkleidet, stattdessen die Geschichte einer Liebe erzählt.
Pamina und Tamino vor weißer Wand
Zur Ouvertüre stehen Pamina und Tamino als Braut und Bräutigam ungerührt vor einer weißen Wand – nicht nur Hochzeits-, auch Verbrecherfotos lassen sich so schießen. Ihr Kuss reißt sie jäh zurück in die eben durchlebte Vergangenheit – oder ist es ihr symbolisch repräsentiertes Innenleben? Nicht verschiedene Welten prallen da aufeinander, alles spielt sich im Drehbühnen-Einheitsraum ab: einem grau gekachelten Labyrinth, zugleich Nasszelle, Keller, Lagerhalle. Nicht die Frage nach der Verortung von Gut und Böse dominiert, sondern ob die Liebe eine Chance hat zwischen verhärteten Fronten.
Hüben wie drüben herrschen Defizite: Blind stöckeln die drei Damen (vokal schwächelnd: Sandra Trattnig, Martina Welschenbach, Katharina Peetz) als „Desperate Housewives“ im Retro-Look über die Bühne und betatschen den Prinzen mit unverhohlen erotischem Vergnügen; die „Eingeweihten“ sind ein exklusiver Macho-Fechtclub, dessen Spinde vor barbusigen Pin-Ups überquellen. Und die noble Gesellschaft, die Sarastro, ein etwas schmieriger Typ zwischen Business und Mafia (Matti Salminen hat Mühe, seinem Bass geschmeidige Linien abzuringen) im ersten Finale zum Fundraising lädt, schlürft den Sekt aus Pappbechern, ist also keineswegs so gut und fein, wie sie sich vorkommt. Geduldete Außenseiter: der schuhcremeschwarze Monostatos (Rudolf Schasching) und natürlich Papageno, der seinem eigenen Käfig entsteigt. Schmutzig, mit Vogelkot am schäbigen Sakko, mimt der junge Schweizer Ruben Drole eine Art Herman Munster en miniature: naiv, schrullig, mit lyrisch weicher, nicht immer ganz fokussierter Stimme.
Kušejs Bemühungen, so interessant sie im Einzelnen sein mögen, wirken mehr gründlich als inspiriert. Selten gelingt ein echter Theatercoup: etwa, wenn das Orchester sich zum ersten Auftritt der Königin der Nacht gehörig aufplustert – und dann bloß eine kleine Frau im Abendkleid verletzt am Boden kauert. Dass die ehrlich um Dramatik bemühte Elena Mosuc vor „Der Hölle Rache“ dem Eishauch eines Kühlschranks entsteigt, erntete jedoch auch einige Lacher. Pamina ist es freilich, die letztlich die Hosen anhat und cool bleibt bei Feuer- und Wasserprobe im Benzindepot und im Auto unter Wasser (als Film). Julia Kleiter, noch etwas erkältet, verleiht ihr zart leuchtende Phrasen und verspricht wohl am meisten in der jungen Besetzung, die Nikolaus Harnoncourt um sich geschart hat.
Papageno lallt betrunken
Sein Mozart gleicht einem Holzschnitt, dessen Kerben er mit den Jahren immer tiefer schnitzt, und hat deshalb auch nichts von der alten Widerständigkeit verloren. Da ist zunächst seine (wie er sagt: Mozarts) Tempodramaturgie: „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ zelebriert er breit, die g-Moll-Arie dagegen atmet höchst bewegten Schmerz ohne Pathos. Dann die romantische Aura des Holzbläserklangs, den das sonst etwas trocken, aber immer mit Synkopen-Biss, getreulich und höchst engagiert agierende Orchester gut vermittelt. Selbstverständlich die rhetorische Zuspitzung in Agogik und Pausen ebenso wie im Vortrag der Solisten: Die drei Damen sprechen manchmal mehr als zu singen, Papageno lallt die letzte Strophe von „Ein Mädchen oder Weibchen“ als Betrunkener. Zumindest in solchen Extremen finden sich Harnoncourts bärbeißiger Humor und Kušejs Überdeutlichkeit auf der selben Linie.
Zuletzt fliegen, keine schlechte Idee, die Königin und ihr Gefolge mit den Ölfässern der Feuerprobe in die Luft. Sie blieben die Einzigen, die bei dieser „Zauberflöte“ so richtig abheben konnten.