Kein toller Tag

Bettina Kugler, St. Galler Tagblatt (11.09.2006)

Don Giovanni, 08.09.2006, St. Gallen

Mässig gelungener Saisonauftakt am Theater St. Gallen mit Mozarts «Don Giovanni»

Echte und eingebildete Leichen eröffnen den Opernreigen am Theater St. Gallen: Aurelia Eggers' Inszenierung des «Don Giovanni» sollte mehr sein als eine Pflichtübung im Mozartjahr – stiess jedoch auf wenig Gegenliebe.

Ihre «Zauberflöte» spielte vor Jahren im Zirkuszelt: ein Ideenfeuerwerk mit jungen Sängerdarstellern, mit psychologischer Stringenz statt Erleuchtungsklimbim. Inzwischen hat sich Aurelia Eggers als Regisseurin etabliert und am Theater St.Gallen die keineswegs leichte Bürde übernommen, das theaterhungrige Publikum nach der Sommerpause mit einem unwiderstehlichen «Don Giovanni» zu verführen.

Mit mässigem Erfolg: Ihre Vision von der Höllenqual, die sich der isolierte Schwerenöter selbst bereitet, der dekadente, die Metapher der übertünchten Schuld breit auswalzende Charme ihrer Inszenierung wurde vom Premierenpublikum mit kräftigen Buhrufen quittiert.

Tatort Baustelle

An Vergleichsmöglichkeiten mangelt es nicht. Konkurrenz, wohin das sinnenfrohe Auge, das historisch informierte Ohr reicht: Im Mozartjahr tanzt der Unersättliche, dessen Liebeslust über Leichen geht, auf noch mehr Hochzeiten als sonst ohnehin. Sich gegen die prägnanten Lesarten eines Kusej in Salzburg und eines Bechtolf am Opernhaus Zürich, gegen die musikalisch zwingenden Verführungskünste eines René Jacobs in Innsbruck oder eines Thomas Hengelbrock am Feldkirch Festival überzeugend zu profilieren, erfordert daher viel Selbstvertrauen. Zumal das Geheimnis der «Opern aller Opern» gerade darin besteht, sich leichtem Zugriff mit unerschöpflichem erotischen Elan zu entziehen.

Dafür hat Aurelia Eggers einen zunächst viel versprechenden szenischen Ansatz gefunden, der den Entstehungsumständen der Oper, der Eile und Unfertigkeit des Meisterwerks vor seiner Prager Uraufführung auf originelle Weise Rechnung trägt: Sie verlegt den Tatort auf eine Baustelle und zeitlich ins Unbestimmte. Die Bühne von Christoph Sehl zeigt die Unbehaustheit sämtlicher Figuren an einem Durchgangsort, der bessere Zeiten gesehen hat und eben im Begriff ist, von unsichtbaren Handwerkern frisch verputzt zu werden. Dass in dieser Absteige ein toller Tag stattfinden könnte, wird niemand ernstlich zu hoffen wagen; vielmehr zeigt sich an den abblätternden Tapeten und dem zerschlissenen Inventar, dass Don Giovanni schon vor dem Übergriff auf Donna Anna und ihren Vater abgewirtschaftet hat – mag Leporello in der Registerarie noch so treuherzig mit dem Bilanzbuch wedeln.

Verlorene Liebeshungrige

Aufwendige Schauplatzwechsel sind später kaum mehr nötig, zumal die Bühnenlandschaft, ob nun der offene Sternenhimmel über der Ballszene oder die provisorisch aufgepinselte Grabstätte des Komturs, eher ins Innere der Figuren verweist, als szenischen Realismus vorzutäuschen. Nicht selten wirken die Liebeshungrigen dort erschreckend verloren, suchen vergebens Halt an Waffen aller Art. Wenn etwa Don Giovanni Zerlina im Duettino geschmeidig beinahe in die Horizontale singt, bleibt ihr als Balancierstange nur sein Degen: Liebe spielt immer auf Messers Schneide. Mit Ales Jenis ist die Titelrolle erfreulich jung besetzt; lässig gibt er den unverfrorenen, immer auf seine Wirkung bedachten Hedonisten. Sein sinnlicher Bariton entfaltet seine Qualität besonders im Schmeicheln, weniger im wüsten Wüten. Dabei fordert Peter Tilling am Pult des schlank besetzten Sinfonieorchesters mit seiner Tempowahl in der Champagnerarie sicher nicht das Äusserste. Tilling legt Wert auf transparenten Klang, auf Schärfen und Rauheiten, wo sie die Partitur erfordert; unfreiwillige kommen hinzu.

Angestrengt psychologisierend

Nicht gerade rebellisch, aber mit kernigem Timbre und komödiantischer Bühnenpräsenz gibt Vladimir Baykov den Leporello. Ihn gleich als Hanswurst zu verkleiden (Kostüme: Moritz Junge), will hingegen nicht recht mit dem – im Lauf des Abends zunehmend angestrengt wirkenden – Psychologisieren der Inszenierung zusammenpassen. Ziemlich klischiert geraten die Rollenporträts der Verfolgerinnen Don Giovannis: wann jeweils Lust in Rachlust und wieder in Mitleid umschlägt, ist der Donna Elvira Gergana Gelevas kaum anzuhören; unter erregtem Vibrato haben subtile Zwischentöne wenig Chancen. Ins Hochdramatische steigert Angela Fout die Partie der Donna Anna; daneben kann Anton Graner als Don Ottavio nur zaghaft wirken, obwohl die Regie ihm aus dem Schattendasein zu helfen versucht. Dagegen blüht Andrea Lang als Zerlina im erotischen Zwielicht Don Giovannis sicht- und hörbar auf – wohl auch, weil Thierry Félix als Masetto kein polternder Trampel ist.

Wenig plausibel wirken vor allem die Kippmomente im Zeitgefüge, der plötzliche Wechsel ins Barockkostüm und seine Verbindung zur Anfangs- und Schlussszene, die mit dem Einbruch der Herzensleichen, die Don Giovannis Lebenswandel hinterlassen hat, noch einmal existenzialistische Symbolkraft gewinnt: die Hölle, das ist der Vereinzelte.

Wörtlich

«Äusserst schwer»

Den 29ten wurde die mit Sehnsucht erwartete Oper des Meisters Mozard Don Giovani oder das Steinerne Gastmahl gegeben. Kenner und Tonkünstler sagen, dass zu Prag ihres Gleichen noch nicht aufgeführt worden. Hr. Mozard dirigirte selbst, u. als er ins Orchester trat, wurde ihm ein dreymaliger Jubel gegeben, welches auch bey seinem Austritte aus demselben geschah. Die Oper ist übrigens äusserst schwer zu exequiren . .

Prager Oberpostamtszeitung, 3. November 1787