Glücklich ist, wer vergibt

Chantal Steiner, VOX SPECTATRITIS (12.03.2007)

Le Nozze di Figaro, 11.03.2007, Zürich

„Le Nozze di Figaro“ von Mozart, basierend auf dem liberalen Stück Beaumarchais’, von einem deutschen Vertreter des sogenannten Regie-Theaters in modernem Bühnendekor in Szene gesetzt, ohne zu entschlüsselnde Bildersprache: Geht das überhaupt?

Sven-Eric Bechtolf hat dies gestern in Zürich versucht: Er führt durch den „tollen Tag“ im Sinne der „opera buffa“ und verzichtet weitestgehend auf Deutung, kongenial begleitet von Franz Welser-Möst und dem Orchester der Zürcher Oper sowie dem gesamten Protagonistenensemble. Die 24 Stunden um Figaros Hochzeit werden in einem „tollen“ Rhythmus geschildert, Langeweile kommt nicht auf, obwohl das Stück sehr wohl Längen aufweist.

Ich gehe davon aus, dass die Handlung der Oper bekannt ist und verzichte deshalb auf eine inhaltliche Zusammenfassung. Bechtolf inszeniert mit Ironie, Gespür für die Situationskomik und Liebe zum Detail in einem sängerfreundlichen, da geschlossenen Einheitsbühnenbild von erlesener Ästhetik (Rolf Glittenberg) und exquisiten Kostümen aus den 1930er Jahren (Marianne Glittenberg). Für mich persönlich sind die Scherze manchmal etwas gar derb und zotig, was aber – dem Gelächter nach – zum Zeitgeist passt (dem heutigen und jenem Mozarts). Es geht durchaus „zur Sache“, aber immer textkonform. Die Personenführung ist grandios, die Sängerinnen und Sänger mit Enthusiasmus und Lust bei der Sache - kurz: ein sehr vergnüglicher Abend mit einem positiven Ende (ich mochte auch die letzte Inszenierung – von Jürgen Flimm – sehr; doch war sie sehr viel düsterer und mit keinem „fine lieto“ versehen). Ich wage zu behaupten: ein Abend, an dem Mozart seine Freude gehabt hätte.

Musikalisch war der Abend vom Allerfeinsten. Das Orchester unter Franz Welser-Möst spielte differenziert und doch mit Schwung und Elan (manchmal erschien es mir - im 2. Rang oben - als ein Quäntchen zu laut). Die Partitur war sehr schön ausgearbeitet, und wie so oft bei Welser-Möst entdeckte man Neues. Die Tempi waren eher rasch gehalten, wenn auch die „Brüche“ (wenn die Handlung vom Heiteren abrupt ins Schwermütige kippt) sehr schön herausgearbeitet waren und berührten.

Sein Début in Zürich gab der junge uruguayische Bass Erwin Schrott als Figaro. Er verfügt über ein blendendes Aussehen. Viril, kraftvoll, strömend ist seine Stimme, die er jedoch auch bis ins kaum mehr hörbare Piano zurücknehmen kann. Zudem ist er ein hinreissender Darsteller, ein richtiges Bühnentier, der dem Figaro alle Facetten entlocken kann. Komödiantisch lässt er „die Puppen tanzen“, aber für mich am Eindrücklichsten war seine Betroffenheit, Enttäuschung und Trauer, als er glaubt, Susanna hätte ihn hintergangen.

In nichts nach stand ihm Michael Volle als etwas „durchgeknallter“ (man möge mir diese saloppe Bezeichnung verzeihen) Graf. Ein anfangs eher unsympathischer Typ, der sehr gut den Macho verkörperte, der es gewohnt ist, dass alles nach seiner Pfeife tanzt und nicht begreifen kann, warum Susanna ihm nicht gehören will. Ein verspielter Typ aber auch, der mit „echten“ Zauberkunststückchen auch die Zuschauer erfreute. Hinter seiner cholerischen und selbstherrlichen Art verbirgt sich ein weiches Herz; und dies konnte er eindrücklich beim „Contessa, perdono“ beweisen. Volles warmer Bariton hat mir immer schon sehr gefallen; nun ist er definitiv in der 1. Liga angekommen: Seine früheren kleinen Schwächen in den Höhen sind ausgemerzt, seine stimmliche Figurenzeichnung verschmilzt mit der darstellerischen und es sind absolut keine Wünsche mehr offen!

Das gleiche kann von Martina Janková gesagt werden. Quirlig wie eh und je, zart, berührend, betörend, ist es eine Freude, ihr zuzuhören und zuzusehen. Sie verkörperte eine selbstbewusste Susanna, die die Fäden – zusammen mit der Gräfin – fest in ihren Händen hält und alle, inklusive Figaro, nach ihrer Pfeife tanzen lässt (Figaro erkennt beim Kleidertausch immerhin seine Verlobte an ihrer Stimme; der Graf hingegen erkennt bekanntlich auch nach Jahren des Ehelebens seine Gräfin nicht!). Einer der für mich berührendsten Momente war das Duett mit der Gräfin „Sull’ aria…“, das für mich nie hätte enden sollen, so perfekt passten die Stimmen zusammen.

Malin Hartelius verkörpert mit Eleganz die Gräfin, vermag sowohl ihre tiefe Betroffenheit wie auch ihre fröhliche Art überzeugend zu vermitteln. Stimmlich ist die Gräfin sicher eine Grenzpartie für sie, in der Höhe hat sie bisweilen einige leichte Schwierigkeiten. Mir persönlich würde ihre Stimme noch sehr viel besser gefallen, wenn sie weniger flackerte. Trotzdem hat sie auch mich für ihre Darstellung eingenommen.

Bezaubernd der Cherubino von Judith Schmid. Der liebestolle Tausendsassa, der alle Frauen zu verführen versucht und immer im unpassendsten Moment auftritt, ist endlich eine Rolle, die der Sängerin angemessen ist. Sowohl “Non so più cosa son, cosa faccio“ - das in einem atemberaubenden Tempo und trotzdem mit perfekter Diktion gesungen wurde - wie auch „Voi che sapete“ wurden vollendet interpretiert.

Die kleineren Rollen waren allesamt bestens besetzt. Jeder der Protagonisten – Carlos Chausson (Bartolo), Irène Friedli (Marcellina), Martin Zysset (Basilio), Andreas Winkler (Don Curzio) und Eva Liebau (Barbarina) – rundete die exzellente Ensembleleistung ab, wobei mir die Barbarina doch etwas gar zu überzeichnet daher kam. Meines Erachtens passt zu dieser Deutung die Musik in der Cavatina „L’ho perduta“ nicht (aber auch das ist eine rein subjektive Ansicht).

Kurz und gut: Die Aufgabe, die sich Sven-Eric Bechtolf gestellt hat, ist gestern bestens gelöst worden. Das Premierenpublikum kam beglückt und fröhlich aus der Vorstellung (kein Vergleich zu Kusejs „Zauberflöte“). Man kann sicherlich das Eine oder Andere bemängeln, doch im Grossen und Ganzen ist ein Theaterabend entstanden, der richtig Spass macht und doch die ganz deutliche Botschaft rüberbringt: Verzeihen ist alles!