Was "Le nozze di Figaro" mit Zauberei zu tun hat

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (12.03.2007)

Le Nozze di Figaro, 11.03.2007, Zürich

Nach der "Zauberflöte" vor nicht einmal vier Wochen erlebte am Sonntagabend bereits die nächste Mozartoper ihre Premiere: "Le nozze die Figaro". Am Pult steht Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst.

Mozarts Meisterwerk spritzig-traditionell und im Glittenbergschen Edel-Look. Aber auch im Klangtbild ist kaum ein grösserer Gegensatz als zur "Zauberflöte" vorstellbar. Wo Harnoncourt im letzten Sommer in Salzburg nur Pessimismus in der vermeintlichen Opera buffa geortet und die Musik unter Berufung auf die Tempodramaturgie fast bis zum Stillstand gedehnt hat, sieht Welser-Möst genau das Gegenteil. So erklingt unter seiner Leitung ein luftiger, wenn auch traditioneller "Figaro". Wo nötig werden markante Impulse gesetzt. Was die Interpretation aber vor allem auszeichnet, sind ihre Geschlossenheit und das melodiöse Fließen. Zumindest bis zur Pause ein purer Genuss. Im dritten und vierten Akt trüben das zuweilen zu dominante Orchester und Koordinationsschwierigkeiten den Eindruck.

Für die szenische Umsetzung ist wie schon bei der Wiener "Arabella" Sven-Eric Bechtolf verantwortlich. Je länger je mehr avancieren er und Welser-Möst zu einem Traum-Duo der Oper. Und wie die Strauss-Komödie hat der aus Darmstadt stammende Regisseur die Handlung in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts transferiert. Dies ist nachvollziehbar, weil emanzipierte Frauen in dieser Zeit ihre gewitzte Überlegenheit auch realiter öffentlich beweisen durften. Bühne und Kostüme tragen unverkennbar die Handschrift der Glittenbergs. Einmal mehr haben sie schicke, spärlich möblierte, helle Interieurs im Art Déco- und Jugendstil und elegante Kostüme geschaffen. Im vierten Akt zieren sieben Karussell-Pferde den Park, der durch gefallenes Laub angedeutet wird. Das Ganze ist hübsch anzusehen, ein Déjà-vu-Effekt bleibt jedoch nicht aus.

Bei Bechtolf spielt "Figaro" wirklich an einem tollen Tag. Standesunterschiede sind inexistent, menschliche Bindungen und Gefühle werden aufgewirbelt, unbefriedigte Bedürfnisse treten unverblümt hervor. Mit sprühendem Witz sowie starken, wenn auch zum Teil überbordenden Bildern und reichlich Slapstick-Einlagen erzählt der Regisseur die Geschehnisse neu. So wird der Graf zum Zauberer, der immer wieder sein Können zum Besten gibt. Gar nicht damenhaft werden auch die Gräfin und Susanna mal handgreiflich. Mitunter passiert fast zuviel auf der Bühne. Bechtolf ist aber auch ein Meister der psychologischen Feinzeichnung, wenn das Spiel im vierten Akt aus den Fugen gerät. Doch der Schlusschor verheisst die Auflösung in Wohlgefallen. Hier gibt es die Utopie des menschlichen Glücks noch. Das war bei Claus Guth ganz anders. Mozarts "Figaro" ist zum Glück so reich, dass Bechtolfs Deutung eine valable Alternative darstellt.

Nicht unwesentlich zum Gelingen der Produktion ist der Beitrag der Solisten, die durchwegs darstellerisch reüssieren und zum grössten Teil auch stimmlich befriedigen. Die Krone gebührt Martina Jankovà, die als mit allen Wassern gewaschene und überdrehte Susanna Witz und Charme versprüht. Sie ist wirklich die Drahtzieherin. Mit ihrem betörenden Timbre lässt sie die Rosenarie zum Höhepunkt des Abends werden. Ihr Figaro, Erwin Schrott, ist ein fescher Latinlover, der vor Selbstbewusstsein nur so strotzt. Stimmlich setzt er allerdings zu stark auf Wohlklang und lässt es a, Markigen fehlen. Das ist ganz anders bei Michael Volle, der den Schürzenjäger Almaviva als Alter Ego des Regisseurs präsentiert. Malin Hartelius lässt als durchaus resolute Gräfin in ihrer Kavatine im zweiten Akt beseelte Piani nicht vermissen und verströmt auch sonst viel Schönklang, wirkt aber eine Spur zu distanziert.

Enttäuschend ist nur der Cherubino von Judith Schmid, der Liebling aller Frauen und auch von Basilio. Mit Carlos Chausson als ausgebufftem Winkeladvokat Bartolo, Irène Friedli als eleganter Marcellina und Martin Zysset als sich outendem schwulen Musiklehrer sind auch die kleineren Rollen mit Sängern im stimmlichen Sommer besetzt. Da bremsen auch die Arie von der Ziege und vom Ziegenbock und Basilios philosophisches Räsonnement die Handlung nicht.

Zu erwähnen ist schliesslich noch Eva Liebaus Barbarina, die sich mit ihrer glockenhellen Stimme für grössere Aufgaben empfiehlt. Am Ende gab es viel Applaus und Jubel für alle Beteiligten. Einer solchen Produktion nicht würdig ist allerdings das dürftige Programmheft. Die Dramaturgie scheint mit der großen Zahl der Premieren in Zürich definitiv überfordert zu sein.