Ist doch alles nur ein Spiel, Schätzchen

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (13.03.2007)

Le Nozze di Figaro, 11.03.2007, Zürich

Im Zürcher Opernhaus ist immer noch Mozart-Jahr: Nach den Kontroversen um die «Zauberflöte» gab es nun viel Premierenjubel für «Le nozze di Figaro».

Fast unmerklich schlichen sich am Sonntag die Streicher ins Ouvertüren-Gewirbel, die Bläser steuerten satte Farben bei, und immer wieder fuhr trocken die Pauke dazwischen. Franz Welser-Möst liess das Orchester der Oper auf Akzente hinspielen, über starkem, aber nie bombastischem Bass und mit einer Höhe von jener federnden Leichtigkeit, die sein Klangbild so oft prägt. Vieles hätte diese Musik ankündigen können: eine blitzschnelle, höchst luzide, bittersüsse Komödie etwa, eine ziemlich scharfe Gesellschaftsstudie auch. Oder dann ein Märchen, in dem das Licht wie durch Zauber zum Schatten wird und umgekehrt.

Aber dann ging der Vorhang auf, und Regisseur Sven-Eric Bechtolf, der schon oft mit Welser-Möst zusammengearbeitet hat und derzeit als einer der Kronfavoriten für die Direktion des Zürcher Schauspielhauses im Gespräch ist, gab dem Stück noch einmal eine ganz andere Richtung. Gezaubert wird zwar tatsächlich schon ziemlich bald, aber nicht in metaphysischem Sinn: Der Conte bedient seinen Zauberkasten nämlich mit geradezu rührender Begeisterung. Er lässt Tüchlein aus der Hand quellen und Karten zusammenwachsen, dass es eine Freude ist. Spätestens bei seinem Auftritt ist klar, dass Bechtolf es ernst meint, wenn er sich im Programmheft gegen eine politische Lesart des Stücks ausspricht. Lustig soll sie sein, diese Oper, um nicht zu sagen: ein Schwank.

Rolf Glittenberg hat die entsprechende Bühne gebaut. Türen rechts, Türen links, hinten eine Art Bühne auf der Bühne, die keine weitere Bedeutung hat als jene, noch mehr Möglichkeiten für rasante Auftritte und Abgänge zu bieten. Das Blumendekor der Wände, mit dem das Geschehen weit weg von der Französischen Revolution in einem späten Jugendstil situiert wird, ist noch nicht ganz fertig koloriert (im vierten Akt, wenn die Einheitsbühne sich in den Park zu verwandeln hat, ist es dann nicht mehr nur dekorativ). Und natürlich ist der Parkettboden abschüssig - genau wie vor einem knappen Jahr in Bechtolfs «Don Giovanni», dem wunderbaren ersten Teil der Zürcher Trilogie von Mozarts Da-Ponte-Opern, an den man sich nun ein bisschen wehmütig erinnert.

Hingabe und Ekel

Denn von dem, was die Qualität dieses «Don Giovanni» ausmachte - vom cleveren Witz, den genau ausgespielten Beziehungen, den überraschenden Bildern, der stringent erzählten Geschichte -, bleibt hier nicht viel mehr als die Lust an der Schauspielerei. Bechtolf, der seine Karriere einst auf der Bühne begonnen hat, weiss sie zu vermitteln: Nicht nur dem Grafen Michael Volle, der genüsslich den kindischen Widerling gibt und noch lange nach dem Aufbrechen einer Tür mit dem Schraubenzieher weiss, welche Hand er sich dabei verletzt hat (in der Pause war die verblüffende darstellerische Ähnlichkeit Volles mit seinem Regisseur an verschiedenen Ecken ein Thema). Auch die anderen sind präzis und expressiv in ihren Demonstrationen von Hingabe und Ekel, Misstrauen und Erleichterung. Und in perfektem Timing liefern sie die vielen und teilweise witzigen Gags, die sich der Regisseur hat einfallen lassen.

Nur: Warum tun sie das? Wo kommen all die Leute her, wenn Figaro sein Ehebett ausmisst? Wieso verkleidet sich der Graf im letzten Akt als Bär? Und was bringt eine schöne, kluge Frau wie die Gräfin dazu, sich diesen Grafen zurückzuwünschen? Ihr «Dove sono i bei momenti» ist der emotionale Höhepunkt der Aufführung, Malin Hartelius singt die Arie so anrührend und ernst, dass man am liebsten die Zeit anhalten würde.

Figaro, ein selbstverliebter Prolo

Es ist diese musikalische Tiefe - bei den bis in die kleinsten Rollen überzeugenden Sängerinnen und Sängern wie im Orchester -, die Bechtolfs Regie so platt wirken lässt. Die Gräfin mit ihrem stilvollen Gesang und den entsprechenden Gewändern (Marianne Glittenberg) ist fehl am Platz in einem Schwank. Michael Volle hätte durchaus die Stimme eines Verführers, wenn er nicht dauernd mit blinkenden Lämpchen jonglieren müsste. Auch Cherubino, dem Judith Schmid eine gar nicht knabenhafte, ungemein schön geführte Stimme leiht, wäre als Figur weit schillernder, als es die etwas plumpe Travestie zulässt. Und selbst Susanna, die Martina Janková mit komödiantischem Talent und strahlendem Sopran zur Hauptperson des Stücks macht, tut einem ein bisschen Leid, wenn sie immer noch einmal die phallische Form der Bettpfosten vorführen muss.

Die Geste würde schon eher zu Figaro passen, in dessen Rolle der 35-jährige Uruguayer Erwin Schrott seinen Einstand gibt in Zürich. Viel Gel im langen Haar, knappes Unterhemd, ein Blick wie Rocky Balboa: Was Susanna an diesem selbstverliebten Prolo findet, bleibt schleierhaft. Das Interesse von mittlerweile ziemlich vielen grossen Opernhäusern an diesem Sänger ist schon einleuchtender; Schrott ist ein freigebiger Darsteller, und er verfügt über einen kraftvollen, in jeder Lage mühelosen Bassbariton, den er allerdings zuweilen etwas gar nonchalant einsetzt (das Bett jedenfalls misst er rhythmisch nicht sonderlich exakt aus). So wird auch das «Non più andrai, farfallone amoroso» fingerschnipsend zum Zitat - ein alter Hit halt, man singt ihn gern wieder einmal. Die Ohrfeigen seiner Susanna nimmt so ein Figaro natürlich locker hin: Ist ja nur ein Spiel, Schätzchen.

Da wäre der Schwank dann bei sich angekommen. Aber nun muss ja noch das Happyend her, eines der schwierigeren in der Operngeschichte: Wie die diversen Paare nach all den emotionalen Verwirrungen die Kraft zur Vergebung und, mehr noch, den Mut für eine gemeinsame Zukunft aufbringen, ist nie leicht zu begründen. Bechtolf allerdings tut sich nicht schwer damit. Sie verzeihen sich halt, und basta. Danach setzen sie sich auf jene Karussellpferde, zwischen denen sie sich vorher verkleidet und versteckt hatten, und ruckeln im Takt des Finales. Eigentlich würde man erwarten, dass sich das Karussell nun dreht. Es ist das erste Mal, dass das Absehbare nicht eintritt.