Das Opernhaus zeigt Mozarts rotierendes Intrigenkarussell

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (13.03.2007)

Le Nozze di Figaro, 11.03.2007, Zürich

Das Mozart-Jahr ist zwar vorbei, aber am Opernhaus Zürich fand es erst jetzt seinen berauschenden Höhepunkt: Franz Welser-Möst und Sven-Eric Bechtolf brachten am Sonntag «Le Nozze di Figaro» fulminant auf die Bühne.

Die «Zauberflöte» vor drei Wochen, jetzt «Figaro»: Hat da jemand geschlafen am Zürcher Opernhaus? Aber wer sagt denn, dass man grosse Mozart-Produktionen im Jubiläumsjahr herausbringen muss? Viel wichtiger ist, dass sie gut sind. Die «Zauberflöte» unter Nikolaus Harnoncourt und inszeniert von Martin Kusej liess bei allen intelligenten Ansätzen einige Fragen offen. «Figaro» hingegen weckt nichts anderes als Begeisterung in jeder Hinsicht, und das völlig zu Recht.

Ohne demonstrative Anwandlung

Schon die Ouvertüre zeigt: Der musikalische Leiter Franz Welser-Möst ist kein Mozart-Ideologe: Er musiziert erfrischend unprätentiös, reich in den Details, mit Sinn für kräftige Akzente, die aber nicht ausgewalzt werden. Die Inszenierung wirkt elastisch und schlank trotz der relativ grossen Besetzung, die auch durchaus mal recht laut sein darf, was dank den Sängern, die nicht gleich forcieren müssen oder ins Waber-Vibrato verfallen, problemlos möglich ist.

Auf der anderen Seite lotet der Zürcher Chefdirigent auch die Pianissimo-Regionen aus, bis hin zu Orchesterbegleitungen, die kaum noch hörbar bleiben, die nur noch die blosse Stimme im Raum schweben lassen - sehr schön, sehr spannend, sehr differenziert und all das ohne jegliche demonstrative Anwandlungen. Das Orchester folgt Welser-Möst nicht immer mit der letzten Perfektion, aber mit sehr schönen Bläserfarben (Hörner, Solo-Oboe) und einem gepflegten, durchsichtigen Streicherklang.

Bewundernswerte Qualität

Auf der Bühne befinden wir uns in den Dreissigerjahren des 20. Jahrhunderts in einem hübschen Schloss von Rolf Glittenberg, das gerade bezogen und eingerichtet wird. Fertig ist noch nichts, überall stehen Kisten und Handwerkszeug. Fertig ist auch die Beziehungspalette in der Familie und Entourage des Grafen nicht, davon lebt schliesslich die ganze Geschichte. Der Regisseur Sven-Eric Bechtolf erzählt sie, Punkt. Auf philo- oder psychologische Unter- oder Hintergründe verzichtet er und kann sich das locker leisten: Wer, wie er, nur den Text ernst nimmt und ihn in allen Facetten szenisch umsetzt, hat alle Hände voll zu tun und verschenkt nichts davon.

Bewundernswert sind die Qualität und die pausenlose Intensität dieser Arbeit: Satz für Satz, Szene für Szene, Akt für Akt lässt die Spannung nie nach: Atemlos dreht sich dieses turbulente Intrigenkarussell, angetrieben immer von neuem durch Begehren, Kränkung, Rache und dumme Zufälle. Wunderschön anzusehen ist, wie das Ensemble bis in die kleinsten Rollen nicht nur hervorragend singt, sondern mit wirklich sehr viel Körpereinsatz mitspielt. Da geht es ein bisschen mehr als nur an die Wäsche. Im Zentrum steht der Graf. Sein Hobby ist die Zauberei: «Il Conte Magico», so würde er sich wohl gerne selber sehen, aber es steht nur auf dem Koffer mit den billigen Tricks, die er allenthalben aus dem Ärmel zaubert. Notiz nimmt im Palast keiner mehr davon, aber lächerlich wirkt der zaubernde Graf dennoch nicht. Das ist die grosse Kunst von Bechtolf: Er zeigt alle Schwächen und Menschlichkeiten, ohne die Figuren zu Karikaturen werden zu lassen. Dass der Conte nicht mehr weiss, wo ihm angesichts so viel weiblicher Schönheit und des wirbelnden Intrigenreigens der Kopf steht, wird genauso nachvollziehbar wie seine Anfälle von Jähzorn und Trotz.

In sich stimmige Inszenierung

Michael Volle spielt und singt und zeigt das alles hervorragend: Seine stimmlichen wie darstellerischen Mittel scheinen unerschöpflich, die Lust an seiner Figur sprüht aus jedem Satz und jeder Geste. Und er ist nicht allein: Die Susanna von Martina Janková ist nicht minder quirlig und souverän. Auch sie spielt die Ambivalenz der Gefühle virtuos aus und singt dabei bedrückend schön. Dritter im Bunde ist der uruguayische Bariton Erwin Schrott, ein Macho wie aus dem Bilderbuch, der die Rezitative virtuos mit der Sprache und mit den Zwischentönen gestaltet, eine starke Figur, die ihren Wert, ihre Möglichkeiten und ihre Wirkung auf Frauen sehr genau kennt und gnadenlos einsetzt. Kein Diener, sondern eher ein Kumpel des Grafen aus den Zeiten von Rosinas Entführung (die Geschichte von Rossinis «Barbiere di Siviglia»), ein Provokateur und Brandstifter, der sich von niemandem einschüchtern lässt.

Nicht minder schlüssig wirken die Rollenporträts von Cherubino durch Judith Schmid und der Gräfin durch Malin Hartelius. Denn bei aller szenischen und musikalischen Aktion, trotz des fast atemlosen Reigens sich überstürzender Ereignisse an dieser «folle journée» schafft es Bechtolf, die leisen, nachdenklichen Momente in den Arien mit Melancholie und Poesie anzufüllen. So ist Oper vor 400 Jahren erfunden worden: die perfekte Symbiose von Theater und Musik.