Die Peinlichkeit des Machos

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (13.03.2007)

Le Nozze di Figaro, 11.03.2007, Zürich

«Le Nozze di Figaro» komödiantisch am Opernhaus Zürich

Zürich trifft das Mozart-Glück nach dem Mozart-Jahr: Nur drei Wochen nach der kontrovers aufgenommenen «Zauberflöte» wurden «Le Nozze di Figaro» mit Dirigent Franz Welser-Möst und Regisseur Sven-Eric Bechtolf zum Glücksfall.

Der Graf zaubert – und das ist nicht nur gemeint im Bezug auf die superbe Leistung Michael Volles. «Il Magico Conte» steht auf seinem Koffer, und stets hat er einen Trick auf Lager. Am meisten freut er sich selber darüber und glaubt sich unwiderstehlich, ohne zu merken, was für eine traurige Figur er abgesehen von seiner herrischen Erscheinung und seinem Testosteronüberschuss abgibt. Seine Selbsterkenntnis im «Contessa perdono!» ist ein grandios herausgearbeiteter Moment.

Der Graf und sein Diener Figaro, wie Regisseur Bechtolf sie sieht, könnten aus einem Stück von Ödön von Horvath stammen, so gefangen in ihrem falschen Bewusstsein sind sie, ohne es zu merken. An Horvaths Zeit erinnern auch Kostüme und Ausstattung des Einheitsraums von Marianne und Rolf Glittenberg.

Darin läuft eine Komödie ab, in der man sich herrlich amüsieren kann. Wenn man das ordinär nennt, übersieht man Absicht und Vorgehen. Mehr als über die Gags an sich lacht man über die von den Figuren selber unbemerkte Peinlichkeit.

Männlein und Weiblein

Der revolutionäre Impetus der Beaumarchais-Vorlage, der im Libretto vor der Zensur verborgen werden musste, kommt bei Bechtolf von hinten zurück. Der gesellschaftlichen Verhältnisse ist sich dieser «Figaro» kaum bewusst. Was ihn umtreibt, ist der Graf als erotischer Konkurrent. In Reitstiefeln und Unterleibchen gibt Erwin Schrott das Bild des Latin Lovers, der es mit Rhythmus und Text nicht so genau nimmt. Der Page Cherubino (Judith Schmid) wird diese Männlichkeitsattitüde, die ihm jetzt noch fremd scheint, zweifellos übernehmen.

Die Frauen bleiben neben diesen Mannsbildern Objekte. Martina Jankova als Susanna wirbelt und sprüht zwar Charme, bleibt aber freches Mädchen (mit teilweise störendem Vibrato). Als selbstbewusste Figur gewinnt aber Malin Hartelius' Gräfin mehr Profil. Man vermisst zwar die dunkleren Farben, doch ihre Stimme hat an Nuancen und Abtönungen gewonnen und überzeugt durch Innigkeit und Wärme.

Komödiantischer Drive

Franz Welser-Möst und das Opernorchester – mit Stahlsaiten, aber alten Trompeten und Hörnern und aus dem Graben ganz nach oben gefahren – legen dem ganzen Ensemble musikalisch den roten Teppich aus. Welser-Mösts Mozart klingt ganz anders als Harnoncourts: runder, unantastbarer, eleganter. Gültigkeit auf höchstem Niveau hat er unzweifelhaft auch. Mit einer relativ kleinen Besetzung von acht ersten und sechs zweiten Violinen schafft Welser ein sehr fein ziseliertes Geflecht mit enormem komödiantischem Drive. Und wie die Inszenierung stellt das Orchester die Figuren nie bloss, sondern rückt ihnen musikalisch ganz nah. Davon profitieren alle bis in die kleinsten Rollen.

Der Jubel am Sonntagabend nach fast vier Stunden war zwar etwas erschöpft, aber ungeteilt und herzlich. Mit diesem «Figaro» hat sich Regisseur Bechtolf mit Nachdruck als Kandidat für die Schauspielhaus-Intendanz ins Bewusstsein gerufen.