Im Pferdchen-Karussell löst sich alles auf

Herbert Büttiker, Der Landbote (13.03.2007)

Le Nozze di Figaro, 11.03.2007, Zürich

Nach «Don Giovanni» bietet das Team Franz Welser-Möst und Sven Bechtolf jetzt im Opernhaus Zürich eine neue «Nozze di Figaro». Getanzt wird mit szenischer Exzentrik und musikalischer Ausgewogenheit auf verschiedenen Hochzeiten.

Basilio ist nur eine Nebenfigur im Karussell der Intrige, die in einem nächtlichen Tohuwabohu im Park kulminiert und sich auflöst. In der Zürcher Inszenierung hat Rolf Glittenberg für alle vier Akte einen Einheitsraum geschaffen - einen hellen Saal mit kleiner Bühne im pastellenen Neo-Rokoko der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Er stimmt für den dritten Akt am meisten und hat im vierten Akt am meisten Poesie. Karussell-Pferdchen stehen im Kreis, am Boden liegt herbstliches Laub.
Basilio allerdings, obwohl Musiker, erzählt hier seine ziemlich pragmatische Geschichte über abgelebte Lebensgier und den Nutzen, sich zum Schutz vor den Gefährdungen des Lebens eine Eselshaut überzuziehen. Diese Arie, die meistens gestrichen wird, ist hier für einmal zu hören - mit Gewinn für das Stück und dank Martin Zyssets pointiertem Vortrag auch fürs Ohr. Aber Basilios Lebensphilosophie wird von der Regie gründlich hinterfragt. Bechtolf deutet an, dass der (hier noch junge) Mann durchaus von erotischen Ambitionen umgetrieben wird - sie gelten Cherubino - und dass er ein Mann voller Ängste ist: Der Bär respektive Almaviva im Kostüm des Ungetüms, der sich an ihn heranmacht, erschreckt ihn gewaltig.

Der Graf erhält von der Regie aber nicht nur ein Bärenfell, sondern ebenfalls eine Eselshaut. Er liebt es, sich als Zauberkünstler zu produzieren. Mit den Requisiten aus seinem Zauberkasten führt «Il magico Conte» allerlei Tricks vor - sie verblüffen tatsächlich, und es scheint, dass Michael Volle, der den Almaviva gibt, in die Inszenierung auch sein Hobby mit eingebracht hat- nicht weniger professionell als seine Gesangskunst. Aber die Eselshaut, der gräfliche Spleen ist ein Problem. Alles, was Almaviva aus Begierde, aus gekränktem Stolz, herrischem Selbstverständnis tut, bricht sich am Als-ob des flunkernden Zirkusartisten und treibt ihn aus der Bahn des Stücks.

Ob das eine gute Regie-Idee war? Wo doch der Motor des Stücks die hinter der galanten Fassade triebhaft aktive Despotie ist, und wo doch alle Komödie davon lebt, dass die Figuren ihre Konflikte ernsthaft austragen, und nicht vom Spass, den sie sich selber machen. Zu viel Spass am eigenen Tun legt auch Erwin Schrotts Figaro an den Tag. Der hoch gehandelte junge Bass aus Uruguay ist oder spielt einen Latin Lover mit schon fast narzisstisch-perversen Zügen, darstellerisch facettenreich, ausgestattet mit einer Ausnahmestimme, mit der er musikalisch allerdings etwas sorglos umgeht.

Geradlinige Frauen

Fast wichtiger als die Rivalität scheint für die beiden Männer die Kumpanei, und das trägt zur verflachenden Entspannung der Komödie bei, die sich mit vielen teils lustigen, teils beliebigen Regie-Aperçus schadlos hält. Darauf versteht sich Bechtolf hervorragend; die Sänger werden, von ihm geführt, zu Schauspieler-Virtuosen. Davon profitieren auch die karikaturistischen Nebenfiguren wie Carlos Chausson, freilich ohnehin eine Nummer für sich, als Bartolo, aber auch Andreas Winkler (Don Curzio) und Giuseppe Scorsin (Antonio).

Gegenüber der exzentrischen Männerwelt stehen die Frauen mit recht geradlinigen Rollenprofilen im Männerbiotop. Sexy und souverän in den modernen Kostümen (und Dessous!) von Marianne Glitterberg arbeiten sie an den Beziehungen und leben sie ihre Emotionen aus, mit der Authentizität, die ihnen Mozarts Musik gibt. Martina Jankova ist eine Susanna, wie sie im Buche steht, mit aller Anmut und Kratzbürstigkeit im hellen Sopran, dem zauberischen Glanz (von einigen stimmlich flachen Momenten abgesehen) in der Rosenarie - ein geglücktes Rollendebüt auch in der unaufgesetzten erotischen Ausstrahlung und quirligen Lebendigkeit des Spiels.

Ebenso erfreulich ist der Erstauftritt von Malin Hartelius als Gräfin. Auch da besteht ein hoher Deckungsgrad mit der Rollentradition, zunächst in der makellosen und ausdrucksintensiven Gestaltung der beiden Arien, dann aber auch in der darstellerischen Interpretation der Figur. Neu ist vielleicht, dass sie eine Frau zeigt, die weibliche Waffen durchaus berechnend einzusetzen versteht (überzeugender als der Griff zum Gewehr), aber auch schnell bereit ist, auf Hoffnungsschimmer und Versöhnungszeichen optimistisch zu reagieren.

Mit Ausnahme des Figaros sind alle Figuren mit Mitgliedern des Zürcher Ensembles besetzt. Dazu gehören auch Judith Schmid als stimmlich attraktiver, ein wenig clownesker Cherubino (Jonglieren und Singen gehen perfekt zusammen), Irène Friedli als spröde Marcellina und Eva Liebau als nymphomanische Barberina: eine Zürcher Besetzung ohne Schwächen.

Das ist bemerkenswert an und für sich und bedeutet beste Voraussetzungen für Franz Welser-Möst, der dazu auch ein wunderbar flexibles und klangschön agierendes Orchester vor sich hat. Er verlangt von ihm kaum grelle Akzente und forcierte Effekte: einmal das Blech, einmal eine schleifende Oktav-Figur der Violinen, die im Finale Susannas aufsteigende Wut signalisiert - ihr zucken schon die Hände, die dann zur Ohrfeige ausholen. Wichtiger sind ihm Klangbalance, Fluss, Kohärenz. Das «Rhetorische» auf der Bühne, das «Sinfonische» im Orchestergraben: Diese Tradition bewährt sich hier nicht zuletzt als Begleitung, die dem Gesang Entfaltung anbietet, mit eindrücklichem Gewinn, in der Konzentration des Lyrischen wie in der Weite der Finalarchitekturen.