Liebe mit doppeltem Boden

Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (19.03.2007)

L'Elisir d'amore, 17.03.2007, Luzern

«L'Elisir d'amore» (1832) verbindet Buffo-Komik mit empfindsamer Oper.
Am Samstag hatte die Inszenierung von Dominique Mentha in Luzern Premiere.

Dank den vorzüglichen Leistungen des Ensembles funktioniert der hintersinnige Spass ohne jeden Durchhänger.

Liebe braucht kein Publikum. Die Premiere von Gaetano Donizettis komischer Oper «L'Elisir d'amore» am Luzerner Theater demonstrierte es am Samstag mit einer Überraschung. Kurz vor Vorstellungsende war da bereits Schluss mit dem Theater. Bevor der schüchterne Nemorino seine berühmte Arie «Una furtiva lagrima» anstimmt, mit der er endlich die zickige Adina für sich gewinnt, wird der Vorhang gezogen. Die Vereinigung der Liebenden, auch sängerisch der Höhepunkt des Abends, findet hinter dem Vorhang unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Die Bühne als Publikumsraum

Dass wir das als Zuschauer trotzdem hautnah mitbekommen, macht Werner Hutterlis Bühne möglich, die den ganzen Raum wendet. Auf der Bühne ist der Publikumsraum mitsamt erstem Rang spiegelbildlich nachgebaut (vgl. Interview in der Ausgabe vom Freitag). Wenn sich die Schauspieler auf dem Bühnentheater vor den Gaffern auf dem nachgebauten Balkon (der Theaterchor) «hinter» den Vorhang zurückziehen, stehen sie an der Rampe direkt vor uns, dem realen Publikum. Das ist nicht nur ein effektvoller Rahmen für das Theater im Theater, als das Theaterdirektor Dominique Mentha hier das Geschehen inszeniert. Das Spiel im Spiel wie die Bühne selbst lassen immer wieder offen, was vorne und hinten, und was echt oder nur gespielt ist die Liebe inbegriffen.

Dabei fängt alles ganz realistisch an. Mentha nimmt die Commedia-dell'Arte-Anleihen des Werks zum Anlass, um das ganze Geschehen als Probe einer Theatertruppe im Italien der Vierzigerjahre zu inszenieren. Adina, die im Stück mit einem prahlerischen Sergeanten kokettiert und die Liebe des unscheinbaren Nemorino zunächst ausschlägt, ist ganz kapriziöse Primadonna. Nemorino steht als Inspizient nicht im Rampenlicht und darf bloss übers Mikrofon die Schauspieler zur Probe rufen. Und wenn der Wunderheiler Dulcamara den Leuten seine Allerweltsheilmittel andreht, ist das nur die Paradenummer eines Gastschauspielers.

Kriegsepisode

Mit dem Sergeanten Belcore bricht von aussen zwar die Wirklichkeit in die Theaterwelt ein. Mentha lädt den Auftritt der Soldateska mit bedrohlicher Gewalt auf. Für Momente gewinnt der Abend da eine bedrängende Ausdruckskraft, die übers blosse Spiel hinausweist. Aber die Anspielung auf die Kriegswirren ist nur eine folgenlose Episode. Das bleibt aber die einzige Schwachstelle dieser Inszenierung, die ansonsten Donizettis Werk schlüssig als doppelbödige Komödie gibt. So verkommt etwa der bedrohliche Sergeant zur lächerlichen Soldatenpuppe, Dulcamara macht als gespielter Quacksalber wirklich das grosse Geschäft, indem er Nemorino den Bordeaux als Liebeselixier verkauft: Mentha baut solche Brüche zwischen Spiel und Wirklichkeit witzig zu Slapstick-Szenen aus.

Das grosse Gefühlsdrama, das Donizetti geschickt in seine Komödie verpackte, tritt dabei zwar etwas in den Hintergrund. Aber dank den auch schauspielerisch vorzüglichen Leistungen des Ensembles funktioniert der hintersinnige Spass drei Stunden ohne jeden Durchhänger. Boris Petronje kostet die Buffo-Rolle des Quacksalbers Dulcamara mit polterndem Bass und lockerem Maulwerk aus, und Caroline Vitale verkörpert als zweite Sängerin deftig den Lebenshunger der darbenden Vierzigerjahre. Howard Quilla Croft als Belcore macht mit seinem gestelzten Soldatengehabe wett, was ihm vokal an Durchsetzungskraft fehlt.

Der Held ist der Antiheld

Auch Theodora Gheorghiu ist für die Adina eine Idealbesetzung mit einer Stimme, die sich wendig zu unglaublich leuchtkräftigen Spitzentönen steigert, aber leicht distanziert bleibt. Der eigentliche Held des Abends ist der Antiheld: Martin Nyvall hat im Nemorino eine Paraderolle gefunden. Er spielt zwar die Slapstick-Szenen mit umwerfender Komik allein schon seine trotzigen Sprünge auf den Tisch sind zirkusreif ­ und doch hat sein mit Leib und Seele gespieltes Tölpelgehabe immer etwas Anrührendes. Ergreifend schliesslich, wie er in jenem Schlussbild die «verstohlene Träne» mit tenoralem Schmelz fliessen lässt.

Liebe ohne doppelten Boden: Zu «Furtiva lagrima» steuerte auch das Luzerner Sinfonieorchester unter John Axelrod betörend verschattete Klänge bei. Ansonsten reizt der Chefdirigent, passend zum Komödiencharakter der ganzen Produktion, die melodischen Ohrwürmer und zündenden Rhythmen des Werks mit viel Drive und Effekt aus. Und der lange, begeisterte Schlussapplaus liess erahnen, dass dieses Stück zum Publikumsrenner der Saison werden dürfte.