Knallbuntes Opern-Antrittsgeschenk

Tobias Gerosa, Der Bund (18.09.2006)

Die Liebe zu den drei Orangen, 15.09.2006, Basel

Basels neuem Theaterdirektor, dem Berner George Delnon, gelang mit Prokofjews «L’amour des trois oranges» ein grandioser Start

Ein Feuerwerk an Komik und Witz, wie man es selten in dieser Qualität zu sehen bekommt, zeigte die Aufführung - trotz dem Kollaps des Dirigenten Armin Jordan kurz nach Beginn der Premiere.

«Ça commençe!», singt der Chor - und plötzlich bleibt alles stehen. Einen Moment lang glaubte man bei der ersten Opernpremiere am Theater Basel am Freitagabend noch an einen Regiegag, doch die Unruhe im Orchester machte bald klar, dass hier etwas Unvorhergesehenes geschehen war.

Dirigent Armin Jordan, mit 74 Jahren zurückgekehrt in das Theater, das er lange Jahre mitprägte, war im Übergang vom Prolog zum ersten Akt zusammengebrochen. Die Zuschauer wurden in eine sehr frühe erste Pause geschickt. Kein Herzinfarkt, «nur» ein Kollaps, kam nach rund einer halben Stunde die Entwarnung, und Lutz Rademacher, der die Proben als Assistent begleitet hatte und Folgevorstellungen dirigieren sollte, kam kurzfristig zu einem unerwarteten Premierenauftritt. Leicht dürfte es für keinen der Beteiligten gewesen sein, nach diesem Schock Sergei Prokofjews komische Oper zur Aufführung zu bringen.

Spiel mit der Realität

Irritierend an der Situation war, dass die Inszenierung ab der ersten Minute mit vergleichbaren Einbrüchen der Realität in die Opernwelt spielt. Man fürchtete schon eine langfädige Begrüssung, als sich der neue Intendant, der aus Deutschland in die Schweiz zurückgekehrte Berner George Delnon, und sein Operndirektor Dietmar Schwarz am Konferenztisch auf der Bühne niederliessen. Doch bereits im ersten Satz brach die wahre Oper über sie herein: Prokofjews Theatergänger, die im Prolog ihre Forderungen ans Programm stellen. Ein gelungener Einstieg in «L’amour des trois oranges», zu der neben einer naiven Zaubermärchenhandlung auch die Metaebene der satirischen Reflexion übers Theater gehört. Es macht viel vom Reiz und Witz des 1921 uraufgeführten Stücks aus, dass dieser Publikumsstreit in Form eines Männernonetts des formidablen Basler Opernchors aus einer szenisch und musikalisch anderen Welt immer wieder in die Handlung einbricht und sie beeinflusst.

Das Regieduo Patrice Caurier und Moshe Leiser, das nach mehreren Inszenierungen in Genf erstmals in der Deutschschweiz arbeitete, nimmt dieses wie die anderen Spielangebote des Stückes dankbar an und entfesselt in Einklang mit der farbigen, frechen Musik ein Feuerwerk an Komik und Witz, wie man es selten in dieser Qualität zu sehen bekommt. Auf der ersten Handlungsebene erzählt das Stück das Märchen des Prinzen, der nicht mehr lachen kann und dann die drei Orangen suchen muss, in welchen seine Prinzessin verborgen ist.

Dabei haben gute und böse Geister ihre Finger im Spiel und sorgen für zauberische Verwicklungen - wobei sowohl Björn Waag wie Ursula Füri-Bernhard mehr szenisch als stimmlich glänzen. Knallbunt wie in einem Disney-Film ist diese Welt in Basel dank Agostino Cavalcas Kostümen und ziemlich schrill. Die hereingerollten Bühnenbildteile und einfachen fahrbaren Wänden sorgen für rasche Szenenwechsel ohne Unterbrüche (Bühne: Christian Fenouillat). Der König (der sonore Stefan Kocan) trägt Rauschebart, das Prinzesschen Krönchen; der gute Geist schwebt als Engel vom Bühnenhimmel, die Hexe taucht zusammen mit nackten Teufelchen im Schwefeldampf aus der Unterwelt auf.

Lustvoll wird mit Mechanismen des Kasperli- und Volkstheaters operiert, wird extra dick aufgetragen und überzeichnet. Naivität karikiert durch Naivität - das könnte im Theater ins Auge gehen, wenn die Figuren nicht ganz genau geführt würden und kein Gegengewicht vorhanden wäre. Mit dem einbrechenden Publikum hat Prokofjew selber ein solches eingebaut. Caurier/Leiser siedeln es als Kontrast im Heute an und schliessen damit die zweite Handlungsebene mit der vordergründig ersten kurz.

Ein Schlüssel zum Erfolg ist dabei die Komödienweisheit, dass gerade diese Figuren komisch werden, wenn man sie ernst nimmt. Musterbeispiel für eine solche singdarstellerische Zeichnung einer Figur ist Karl-Heinz Brandt als clownesker Truffaldino. Ein anderer Schlüssel zum Erfolg dieser Produktion liegt in der engen Wechselwirkung von Musik und Szene und der auch wunderbar typgerechten Besetzung um Rolf Romeis lyrischen Prinzen. Wenn das stimmt, stört auch ein Stilbruch wie das realistische Hexenhäuschen (mit der urkomisch-bedrohlichen Köchin von Victor von Halem) oder eine drastische Fäkalszene nicht mehr, welche die Grenze des guten Geschmacks überschreitet. Die sprachliche Einschränkung, dass das gesungene Französisch manchmal nicht gerade idiomatisch klingt, bleibt der einzige Einwand.

Und weil auch Dirigent Rademacher und das trotz dem Schock agile und elastische Basler Sinfonieorchester mit spritzigem Esprit und grosser Farbpalette agieren, ergibt das einen überwältigend Einstand des neuen Basler Teams.