Filmdiva ist Objekt der Begierde

Christian Fluri, Mittelland Zeitung (27.03.2007)

L'Italiana in Algeri, 25.03.2007, Basel

Theater Basel Patrick Schlösser verlegt Rossinis «L’italiana in Algeri» in die alte Filmwelt. Das Ereignis des Abends sind aber das Ensemble und der Männerchor.

Glück im Pech hatte das Theater Basel: Einen Tag vor der Premiere von Gioacchino Rossinis «L’italiana in Algeri» auf der Grossen Bühne erkrankte Mustafà-Darsteller Stefan Kocán, der Bass, der in Verdis «Don Carlos» als Philipp II. Furore machte. Dem Theater Basel gelang es, mit Oleg Bryjak einen herausragenden Sänger zu engagieren. Er erarbeitete in einem Tag seine Rolle in Patrick Schlössers Inszenierung. Sein Spiel liess das Publikum vergessen, dass ein Einspringer auf der Bühne stand.

«L’italiana in Algeri», von Rossini 1813 in Venedig nach dem Libretto von Angelo Anelli in drei Wochen komponiert, ist ein Spiel mit dem Mythos der starken sinnlichen Italienerin. Sie wirbelt das Leben der Männer durcheinander: Die liegen ihr zu Füssen. Dieser Italien-Mythos wurde in den 1950er und 60er Jahren in italienischen sowie in Hollywood-Filmen über Italien weiter genährt. Geschickt verlegt Schlösser Rossinis dramma giocoso in die alte Filmwelt, die heute selbst schon ein Mythos ist. Diese Filme transportieren zwar noch Sehnsüchte nach Sinnlichkeit, Lebensfreude und Liebe. Doch die elegante, prachtvolle Welt ist Vergangenheit. Von beidem erzählt Etienne Pluss’ Bühne treffend. Mustafàs Palast ist eine heruntergekommene Villa, der Putz fällt von den Wänden; bei emotionalen Erschütterungen geht das Licht aus, Sicherungen brennen durch.

Die kleinräumige Guck- kastenbühne wirkt wie ein Filmbild in einem alten Kino, zugleich ist sie Abbild des Zustands der Figuren. Mustafà langweilt sich, ist ohne Passion. Er ist seiner ihn über alles liebenden Frau Elvira überdrüssig (Harem gibt es keinen bei Rossini). So träg und untätig wie der Herr sind die Diener, die Eunuchen. Schlösser gelingt hier eine feine Karikatur der von früherer Pracht in blosse Tristesse abgedrifteten Welt. Die Eunuchen sind in ihren Röcken, Hemden, Krawatten und Turbans (Kostüme: Uta Meenen), in dieser Mischung aus westlichen und orientalischen Insignien, ironisch gezeichnete Film-Araber.

Der einzige, der trotz seiner Melancholie bereits Leben in Mustafàs Welt bringt, ist der in der Waschküche werkelnde italienische Sklave Lindoro › hier auch Mustafàs Masseur. Lindoro, der sich nach seiner Geliebten Isabella in Italien sehnt, soll Elvira zur Frau nehmen, dafür dürfte er nach Hause fahren. Mustafà will endlich um eine schöne Italienerin freien.

Lindoros Geliebte Isabella strandet an den Gestaden dieses Opern-Algeriens › auf der Suche nach Lindoro. Schlösser lässt sie als Filmdiva auftreten, trifft die richtige Mischung aus Silvana Mangano, Gina Lollobrigida und Sophia Loren (meisterlich gestaltet sind ihre Kostüme). Die Schergen des Mustafà erliegen gleich der Schönheit. Dem Herrscher selber geht es natürlich nicht anders. In das Verführungsspiel hinein platzen Lindoro, Elvira und ihre Sklavin Zuma. Staunen, Erschütterung allerseits. Wer gehört zu wem? Wer begehrt wen? Zu Rossinis genialer Musik mit ihren Crescendi und Staccati, die sich wie ein Wirbel im Kreise dreht, entgleiten die Figuren sich selbst, ihre Gefühle tosen, bringen sie an den Rand des Wahns.

Da zeigt sich ein Mangel in Schlössers Regiearbeit. Er zeigt zwar die Figuren als Hampelmänner ihrer Gefühle - mehr aber nicht. In seiner zu wenig stringenten Personenführung vermag er das Innere der Figuren nicht nach aussen zu kehren, nicht ihre Psychen zu durchleuchten. Der Isabella hinterher stolpernde, eifersüchtige Italiener Taddeo bleibt in seiner Ulkigkeit belanglos, wirkt läppisch statt lächerlich. Und Büstenhalter, die plötzlich auftauchen und die erotischen Sehnsüchte der Männer symbolisieren, sind doch arg plumpe Zeichen.

Im zweiten Akt begegnen wir einer völlig verstörten Elvira. Und Lindoro muss der enttäuschten Isabella glaubhaft erklären, dass er allein sie liebt. Da gelingen Schlösser wieder berührende Bilder von feinem Humor. Die turbulente Ensembleszene, in der Mustafà Isabella im Frauen-Schlafzimmer, das an alte Filme erinnert, verführen möchte und scheitert, ist rasant gespielt; das hat Witz. Dagegen gleitet die Erhebung Taddeos zum Offizier Mustafàs in blossen Klamauk. Das gleiche gilt für das Finale. Isabella ehrt Mustafà mit dem Phantasietitel Pappataci, gibt ihn der Lächerlichkeit preis, damit sie mit Lindoro fliehen kann. Warum muss die Pappataci-Kopfbedeckung eine Wassermelone sein? Ein ziemlich platter Witz. Die Versöhnung am Schluss, da sich Mustafà reumütig seiner Elvira zuwendet, geschieht unmotiviert. Und der Konfettiregen ist nochmals des Guten zu viel.

Schlössers erste Inszenierung in Basel unterhält und ist › ausser dem Schluss › sorgsam durchgestaltet. Doch bleibt sie meist an der Oberfläche, manche Spässe sind schlicht banal.

Dass die Aufführung dennoch so mitreisst, liegt an den fantastischen Sängerdarstellern, allen voran Mariselle Martinez als Isabella. Die chilenische Mezzosopranistin verfügt über eine wendige, ausdrucksstarke Stimme ohne Schärfen in den Höhen. Perfekt gestaltet sie Koloraturen und Staccati. Sie setzt sich als verführerische Diva bestens in Szene. Mariselle Martinez ist eine grandiose junge Sängerin, von der wir hoffentlich auch in Basel noch viel hören werden.

Grossartig auch - wie eingangs erwähnt - der agile Bass Oleg Bryjak: Mit Leichtigkeit meistert er die rasanten Koloraturen. Er gibt einen patriarchalischen, ruppigen Mustafà, der Gefangener seiner Sehnsüchte und Triebe ist. Der lyrische Tenor Javier Abtreu singt den Lindoro mit leichter Stimme mit schönem Schmelz in den Mittellagen. Doch hat er in den Höhen Probleme. Darunter leidet die Gestaltung seines Parts. Auch als Figur überzeugt er nicht ganz. Die Sopranistin Agata Wilewska ist eine berührende Elvira. Bariton Marian Pop singt den Taddeo mit agiler Stimme. Darin ist mehr Witz als in der ihm von Schlösser zugedachten Rolle als blosser Tölpel. Bass Andrew Murphy ist ein herrlich soldatischer Haly mit weichem Kern. Auch Rita Ahonen meistert die Partie der Zulma gut.

Packend, Perfekt der von Henryk Polus geleitete Männerchor des Theaters Basel. Das ist bester Rossini-Gesang: wahrhaft eine Meisterleistung. Die mit Verve singenden Solisten und Choristen reissen das Sinfonieorchester Basel förmlich mit. Dirigent Baldo Podic vermag zwar in der Ouvertüre fein abgestimmte Klangfarben zu entfalten, aber sie bleibt zu verhalten, die Akzente sind zu wenig hart und deutlich. Erst der Gesang von Ensemble und Choristen lässt › auch aus dem richtigerweise ziemlich hoch gefahrenen Orchestergraben - die Funken sprühen, Rossinis Musik lebendig werden. Nun waren sie da: Leichtigkeit, Virtuosität in der Stimmführung, perlende rasante Läufe, ebenso die damit wechselnden melancholischen, gefühlvollen Melodien.

Gross war der Applaus für alle Beteiligten. Das Basler Premierenpublikum hat sich bestens unterhalten.