Trotz Sprengstoffladung zündete der Funke nicht

Chantal Steiner, VOX SPECTATRITIS (23.04.2007)

L'Italiana in Algeri, 22.04.2007, Zürich

Lag es am frühsommerlichen Wetter? Trotz guter Leistungen und einer ansprechenden Inszenierung sind gestern viele Premierenbesucher von Rossinis „Italiana in Algeri“ etwas unbefriedigt aus der Vorstellung gekommen. Irgendetwas fehlte, der berühmte Funke sprang nicht aufs Publikum über… Dabei hätte das Werk durchaus zum Frühling gepasst: leichte Kost mit einem etwas abstrusen Libretto und einem „liete fino“, gewürzt mit Rossinis spritziger Musik.

Lag es am Dirigenten Paolo Carignani? Er erarbeitete die Partitur in all ihren Feinheiten, vermochte das Orchester zu Bestleistungen anzustacheln, es stimmte die Dynamik, wunderschöne Piano-Passagen waren herausgearbeitet - und trotzdem fehlte dem Ganzen die Leichtigkeit, die Beschwingtheit.

Auch die Protagonisten gaben ihr Bestes und sangen alle adäquat. Hervorzuheben ist der junge, aus Mexiko stammende Tenor Javier Camarena, der erst seit dieser Saison dem Opernstudio angehört. Er ist zwar bereits in Mexiko aufgetreten, wo er u.a. den Tonio in „La fille du régiment“ sang (mit dieser sagenhaft schwierigen Arie „Ah, mes amis“, in der 9 hohe Cs vorkommen), aber hierzulande ist er (noch) unbekannt. Das dürfte sich unter Umständen jetzt ändern. Gewiss, es gibt auf dem langen, steinigen Weg zum so genannten „Star“tenor noch einiges zu verbessern, aber Camarena verfügt über eine sichere, gut geführte Stimme mit einer guten Mittellage, bombensicherer Höhe, warmen Schattierungen und erstaunlicher Durchschlagskraft. Er singt bereits heute mit viel Differenziertheit und Stilsicherheit. Das Publikum bereitete ihm nach seiner sehr schwierigen Einstiegscavatina („Languir per una bella“) eine regelrechte Ovation, und er schwang auch beim Schlussapplaus obenaus. Wenn er noch weiter an seinen stimmlichen und schauspielerischen Qualitäten feilt – da war er mir zu statisch –, dürfte noch einiges von ihm zu erwarten sein.

Nicht ganz zufriedenzustellen vermochte mich Vesselina Kasarova als Isabella, obwohl rein sängerisch nicht viel auszusetzen war. Allerdings behagt mir ihre gutturale Stimme bei Rossini nicht, da möchte ich eine leichtere, quirligere Stimme haben. Ihre gaumige Vokalfärbung ist auch meine Sache nicht, und für mich verfügt sie über zuwenig Sinnlichkeit (sowohl in der Stimme wie auch in der Erscheinung), um eine Italienerin zu verkörpern, die allen Männern den Kopf verdreht und sie zu schwachsinnigen Tölpeln macht.

Für Ruggero Raimondi (der dem Vernehmen nach aus zeitlichen Gründen – ein Film mit ihm zog sich unerwartet in die Länge – erst spät zu den Proben kommen konnte) sprang Carlo Lepore als Mustafà ein. Er verfügt über einen eher spröden Bass mit wenigen Farben und seine Darstellung des Bey war eher etwas derb (Raimondi würde diesen wohl mit mehr Charme verkörpern), aber seine Leistung vermochte das Publikum durchaus für ihn einzunehmen.

Carlos Chausson verkörperte den „Onkel“ Taddeo in seiner gewohnt souveränen, buffonesken Art. Christiane Kohl vermochte mit ihrem silbrigen Sopran die Zerrissenheit der liebenden Ehefrau überzeugend darzustellen, auch wenn ihre Spitzentöne bisweilen etwas schrill wirkten. Ausgezeichnet Martina Welschenbach mit warmem Mezzo als ihre Sklavin Zulma. Das homogene Ensemble rundete Valeriy Murga als Haly ab.

Nicht unerwähnt bleiben soll die exzellente Leistung des Chors der Oper Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger).

Cesare Lievi verzichtete dankenswerter Weise auf eine Aktualisierung des Stoffes, war der „türkische“ Hintergrund (in Algerien!) doch schon bei Rossini nur eine Zeitgeisterscheinung und keine ideologische Beschreibung. Nichtsdestotrotz befand man sich in einem „modernen“ Bühnenbild. Eine ausgeklügelte Drehkonstruktion versetzte uns zuerst in eine Art Strandbar (und das in muslimischem Gebiet, wo Alkohol verpönt ist!!!). Der Bühnenbildner Luigi Perego vermittelte ein sehr ästhetisches Bild. Vor der Strandbar (die eine Reklame mit „Algeri“ schmückt - damit ja alle wissen, wo wir uns befinden!) sind Stege angebracht, von denen die Protagonisten immer wieder die Beine ins „Wasser“ baumeln lassen. Selbst ein Hai schwimmt da herum!

Um die Gefangennahme der Italienerin und ihrer Begleiter zu illustrieren, schwebt ein Prospekt eines Luxusliners herunter und wird vor die Drehkonstruktion platziert. Dieses „Traumschiff“ verfügt über leuchtende Lichtergirlanden, was das Publikum zu spontanem Szenenapplaus (wenn auch sehr verhalten) animierte. Die Türken bringen einen Landesteg an dem Luxusliner an und bewerfen diesen mit Handgranaten. Eine Artistentruppe steigt aus dem rauchenden Schiff und wird von den Türken in Empfang genommen. Dann entsteigt in Marlene-Dietrich-Pose Isabella dem Schiff… dies alles ist handwerklich sehr gekonnt und mit Ironie in Szene gesetzt.

Der Bey in der Badewanne oder auf einer Hängeschaukel findet auch Anklang. Die Personenführung hingegen ist nicht wirklich auszumachen; man erlebt die Sänger, wie man sie schon in anderen Inszenierungen erlebt hat und gewinnt den Eindruck, dass jede/r seine eigenen Ideen umsetzt.

Fazit: ein „netter“ Abend, der einen etwas hungrig zurückliess. Man hätte mehr daraus machen können, es war aber nicht klar herauszufinden, wo das Manko lag. Der Applaus war dementsprechend: freundlich, aber durchaus „enden wollend“. Der Regisseur schien zufrieden, dass er diesmal keine Buhs erhielt.