Variété-Belcanto mit Zylinder und Fes

Herbert Büttiker, Der Landbote (24.04.2007)

L'Italiana in Algeri, 22.04.2007, Zürich

Sprühende Fantasie prägt die neue Rossini-Inszenierung am Opernhaus in jeder Hinsicht. Sie steckt in den Kostümen wie im musikalischen Witz des gut gelaunten Ensembles.

Wiewohl das Libretto ihn erwähnt, macht der Turban die Türken-Oper nicht aus. Im Opernhaus Zürich schon gar nicht, wo «Algeri» in Art-déco-Schrift über dem weiss strahlenden Rundbau steht, der für ein Casino, einen Palast, eine Bar steht. Der Bühnenbildner Luigi Perego hat ihn mit mehreren Schalen versehen, die gegeneinander verschoben eine ständig neue architektonische Sicht auf und in dieses Etablissement bieten, wo offenbar, wie Plakate ankünden, Va-riété-Veranstaltungen stattfinden oder auch abgesagt werden, je nach Lust und Laune des Impresarios.

Italien-Hymne

Ob das nun mehr Art-déco oder Postmoderne ist, spielt dabei weniger eine Rolle als das Vergnügen, das das sich ständig wandelnde, zuckerbäckerig schräge Komödienambiente bietet. Hier also will der Hausherr Mustafà, Bey von Algier, wieder einmal das Programm wechseln. «Abgesagt» heisst das für Elvira. Angesagt ist die Italienerin Isabella, die freilich anderes im Sinn hat, als dem Pascha, der auch ein Barkeeper ist, zu Willen zu sein. Den versklavten und nicht eben heldenmütigen, aber trotzdem geliebten Lindoro gilt es zu befreien.

Die Welt bleibt so zweigeteilt: blauer Variété-Zylinder und Frack hier, roter Fes und Pluderhosen dort. Und der Kulturaustausch ist Kriegslist. Isabellas Begleiter, der knickerige Verehrer Taddeo im giftig grünen Anzug wird vollends zur Italiener-Karikatur, wenn ihn der Bey zum Kaimakan ernennt und damit im roten Fes, grünen Hemd und weisser Hose zu seinem Handlanger macht. Das bringt ihm weniger als der Schachzug der Gegner, die ihn zum «Pappataci» ernennen: Bei der Konzentration auf die Kunst des Spaghetti-Essens verliert Mustafà die Kontrolle über die Geschehnisse, sodass die Italiener flüchten können.

Die Kostüme von Marina Luxan-dro erweisen sich in diesen Zusammenhängen nicht nur als perfekter Blickfang zwischen Chic und Schock, sondern sind auch genau in der Symbolik. Denn «L’Italiana in Algeri» ist eine Hymne auf die emanzipierte Italienerin, wie sie in den Salons den Ton angibt, und damit zugleich eine politische Allegorie. Der Ton ist hier Isabellas Rondò mit dem Text «Pensa alla patria» und Rossinis koloraturen- und eben auch pathosmächtiger Vertonung. Das alles sagt auch Isabellas Kostüm, wenn sie den blauen Mantel öffnet und das weisse Kleid, die grüne und rote Mantelinnenseite sich zur italienischen Trikolore komplettieren.

Substanz und Schaum

Präzise Daramturgie als buntes Ausstattungsvergnügen – Cesare Lievi inszeniert es mit leichter Hand und die Musik im Geist treffend, die es ja ebenfalls darauf anlegt, die Substanz im musikalischen Schaum aufgelöst flüchtig zu bewahren. Trotz der Verfremdung des Geschehens, das mit der im Luxus-Liner aufkreuzenden Isabella und der militärischen Zurüstung mit Pistolen und Handgranaten weit in die Gegenwart geholt ist, bringt Lievi die Psychologie und Situationskomik pointenreich auf die Reihe, und den Darstellern bietet er ein wunderbares Terrain, auf dem sie sich ausleben.

Die grosse Überraschung des Abends ist dabei der junge mexikanische Tenor Javier Camarena, der im Herbst – Irrtum oder Schachzug – ins Opernstudio eintrat und sogleich auf die grosse Bühne umgebucht wurde. Schönes Timbre, Beweglichkeit und Leichtigkeit in der Höhe, natürliche Musikalität, sympathische Ausstrahlung: Da kommt vieles zusammen, was in diesem Belcanto-Variété auffällt und das Premierenpublikum zu Recht begeistert. Aber natürlich ist die Partitur auf die Titelfigur zentriert und der Abend auf Vesselina Kasarova als umtriebige, selbstbewusst kokette Italienerin. Diese rückt sie in vielen Facetten ins helle Rampenlicht. Dass bei aller stimmlichen wie darstellerischen Brillanz die Herztöne der Figur nicht ganz so warm und hell strahlen, wie man sich vorstellen könnte, liegt weniger an der artistischen Verfremdung durch die Inszenierung als am stimmlichen Aufwand, der gern etwas grösser und komplizierter ist, als für den lyrischen Atem gut ist. Das wäre für Isabella ein Grund mehr, ihrem Lindoro an den Lippen zu hängen und sich nicht von Mustafà blenden zu lassen. Allerdings gibt Carlo Lepore dem italotürkischen Macho durchaus stattliche Virilität, und man glaubt ihm dass er gefährlich werden kann, wenn er das Spiel durchschaut.

Viel Impuls, viel Drive

Das macht diese Figur spannend und schafft einen stimmigen Kontrast zum kümmerlichen Liebesritter Taddeo, eine Partie wie geschaffen für Carlos Chausson, der sie grandios in Szene setzt. Christiane Kohl als Elvira, Martina Welschenbach als Zulma und Valeriy Murga setzten ebenfalls kräftige Akzente, und trefflich Figur macht auch ganz unverschnitten der Männerchor der Korsaren, Sklaven und eben auch Eunuchen.

Da agierte insgesamt ein brillantes Bühnenensemble, das vom impulsfreudigen, motorisch vifen Dirigenten Paolo Garignani auch aufs Äusserste gefordert wurde. Wer aber die Ouvertüre noch als Auftakt für einen Abend zwischen schleppenden und hektischen Tempi hörte, sah sich glücklich getäuscht. Das rasante Brio erhielt allen präzisen Schliff auch im Orchester und die melodischen Soli, auch wenn sie am Zügel geführt wurden, ihren frisch inspirierten Auslauf – alles zur Komplettierung eines szenisch unbeschwerten, musikalisch heiteren Rossini-Abends.