Vesselina Kasarova rettet szenisch magere Rossini-Oper

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (24.04.2007)

L'Italiana in Algeri, 22.04.2007, Zürich

Gioacchino Rossinis «Italiana in Algeri» hat Hochkonjunktur auf Schweizer Opernbühnen: Vier Wochen nach Basel brachte auch das Opernhaus Zürich das Stück auf die Bühne - als Starvehikel für eine mirakulöse Vesselina Kasarova.

Was die bulgarische Mezzosopranistin Vesselina Kasarova am Sonntag im Zürcher Opernhaus in der Titelrolle von Gioacchino Rossinis Oper «Italiana in Algeri» zeigte, war höchste Koloraturkunst. Die spielerische Leichtigkeit, mit welcher sie ihre Girlanden in den Raum stellte und locker in die Höhen steigen liess, begeisterte ebenso wie die feinen, zurückhaltenden, nachdenklichen Momente, zu denen Kasarova auch in der brillantesten Arie fähig war: Ein vielschichtiges Porträt der Isabella, jedenfalls musikalisch.

Szenisch hingegen blieben viele Wünsche offen: Die Regie von Cesare Lievi schaffte es nicht, ihren Gesten das Plakative, ihren Bewegungen das Sinnlose zu nehmen, ein erstaunliches Missverhältnis zwischen meisterhaft detailliertem Gesang und beliebiger Opernkonvention. Zuhören aber lohnte sich in jedem Moment, denn Kasarova konnte auch auf die Begleitung zählen: Brillant spielte das Zürcher Opernorchester unter dem Frankfurter Generalmusikdirektor Paolo Carignani. Schon die Ouvertüre mit ihren vielen Solostellen gelang virtuos und beschwingt, und Carignani schuf auch in der Folge immer wieder einen guten Ausgleich zwischen virtuosem Drive, den typischen Rossini-Crescendo-Walzen, majestätischen Chören und subtil hingetupfter Sängerbegleitung.

Mexikanische Entdeckung

Eine veritable Entdeckung war der junge Mexikaner Javier Camarena in der Rolle des Lindoro: Er verfügt über ein wunderschönes Timbre und eine schmelzende Stimme bis in die höchsten Höhen, hat dazu die nötige Kraft und Ausdauer und keine Angst vor exponierten Koloratur-Ketten. Zwar sah er neben den Perlenschnüren, die Kasarova aus ihrer Kehle zauberte, auch nur durchschnittlich aus, aber sein Potenzial ist riesig und seine Möglichkeiten als Tenor scheinen überaus rosig. Bisher hat Camarena erst in Mexiko auf der Opernbühne gestanden, trat im letzten Herbst ins Zürcher Opernstudio ein und nutzte jetzt diese Chance auf einer der wichtigsten europäischen Bühnen virtuos. Auch das Opernhaus nutzte sie: «Seit April dieses Jahres gehört er zum Ensemble des Opernhauses Zürich», steht als letzter Satz in seiner Biografie. Eher enttäuschend, vor allem zu Beginn, sang der Bass Carlo Lepore als Mustafa. Ruggero Raimondi war für diese Partie vorgesehen, aufgrund des verzögerten Abschlusses eines Film-Projekts musste er die ersten Vorstellungen absagen. Er hätte bestimmt einen weitaus spielerischen Umgang mit dieser Partie gezeigt als sein etwas braver Kollege. Dafür drehte Carlos Chausson als Komödiant wieder einmal prächtig auf. Sein Taddeo war erstklassig, sowohl sängerisch als auch schauspielerisch.

Regisseur Lievi hat am Zürcher Opernhaus noch nie grosse Stricke zerrissen, entsprechend waren die Erwartungen eher gering. Und auch diese wurden noch enttäuscht: Lievi präsentierte ein Sammelsurium von Regie-Ansätzen, die nie weiter verfolgt wurden, zeigte kaum mehr als unbeholfenes Herumstehen, leere Gesten, viele Kostüme, einige wenige lustige Gags, einige bemühte Witzchen und eine Personenführung, die Opernkonventionen, aber sonst nichts erfüllte. Zu Lachen gab es kaum etwas, bloss viel Aufwand in Bühnenbild und Kostümen.

Sammelsurium der Ideen

Bühnenbildner Luigi Perego liess Fellinis Traumschiff vom Bühnenhimmel schweben, womit er sogar Szenenapplaus erntete, und baute einen weissen Pavillon auf die verschiedenen Drehbühnen, deren Elemente er Karussell fahren liess, ein Reigen, der zunehmend sinnlos wurde. Das «Algeri» ist eine moderne Strandbar, aber sonst ist nichts modern an dieser Produktion.

Man muss nicht gleich den «Kampf der Kulturen» zum Thema machen, was sich im Aufeinanderprallen von arabischer und westlicher Welt in diesem Stück an sich aufdrängt. Man darf auch die Komödie einfach für sich selber stehen lassen, wie es in Basel ansatzweise gelungen ist. In Zürich dagegen liess Lievi die Italiener als reisende Commedia dell'arte-Truppe auftreten, was als Idee gut funktionieren könnte, bei Lievi aber in keiner Weise aufging. Dazu hätte er sich viel mehr Mühe geben müssen, das Gespielte vom Empfundenen zu unterscheiden. Alles in allem war diese Regie nicht mehr als ein Sammelsurium verschiedenster unausgearbeiteter Ideen, welche dem Brio und der turbulenten Kraft der Musik von Rossinis erstem Welterfolg nichts szenisch Gleichwertiges entgegensetzen konnten.