Saftige Liebeserklärung an das Theater

Herbert Büttiker, Der Landbote (18.09.2006)

Die Liebe zu den drei Orangen, 15.09.2006, Basel

Mit Sergej Prokofjews Oper «L’amour des trois oranges» als Liebeserklärung an das Theater und mit einem Schock hat am Theater Basel eine neue Saison und eine neue Ära begonnen.

Der Zusammenbruch des Dirigenten Armin Jordan kurz nach Beginn der Vorstellung hat sich später am Abend nicht als ganz gravierendes Ereignis herausgestellt, aber im Moment war die Konsternation gross. Dies auch, weil sich der Zwischenfall gleichsam in die Inszenierung einschlich und sich das Theater mit dem Leben oder das Leben mit dem Theater eine Eulenspiegelei der schwärzeren Art leistete. Prokofjews Oper «Die Liebe zu den drei Orangen» ist ja neben dem Märchen- und Zauberstück mit Prinz und Prinzessin, guten und bösen Geistern und der ganzen Harlekinade eines Hofstaats vor allem auch ein Stück über das Theater. Gleich zu Beginn greifen gegnerische Publikumsfraktionen lärmend ins Geschehen ein: die Anhänger der leichten raufen sich mit denen der tragischen Muse.

Die Basler Inszenierung setzt dem eins drauf: Wie zur Pressekonferenz präsentieren sich zu Beginn der neue Intendant Georges Delnon und sein Opernchef Dietmar Schwarz. Aber die Begrüssung wird von der Musik gestört, und Prokofjews Prolog kommt daher wie ein handfester Theaterkrach. Dass nach dem «ça commence!» die Aufführung dann stehen blieb, hätte als Panne der Theatermaschine sehr wohl Teil der Inszenierung sein können, und so dauerte es geraume Zeit, bis klar wurde, dass hier eine andere Regie waltete.

Die Fortsetzung der Aufführung nach einer längeren Unterbrechung stand dann im Zeichen des Abwesenden. Es hätte sein Abend sein sollen: die Rückkehr Armin Jordans als Ehrendirigent des Sinfonieorchesters ans Theater Basel, dessen Chefdirigent er von 1971 bis 1989 gewesen war. Dass sein Leben nicht akut in Gefahr war, konnte Delnon dem Publikum mitteilen, bevor sich der Vorhang wieder hob. Als Ersatz für ihn stand der junge Korrepetitor und Dirigent des Theaters, Lutz Rademacher, am Pult, und bald zeigte sich, dass da alles andere als ein notdürftiger Retter am Werk war. Aus einer gewissen Verhaltenheit hatten sich Prokofjews verspielte, gerissene und mächtig auftrumpfende musikalische Geister bald erholt: Zug und Schärfe dieser theatralisch grandios profilierten Musik stellten sich ein, und ein einziger Höhenflug war der poesievolle dritte Akt im Bogen vom wieselndem Allegro der Reisenden zur krachenden Küchenszene und den lyrischen Zartheiten der Orangen-Prinzessinnen. Szenenapplaus erhielt der berühmte Marsch der Oper, und insgesamt war es ein Abend, der Prokofjew als genialen musikalischen Rhythmus-Farbendramatiker ins hellste Licht rückte.

«L’amour des trois oranges» ist die Oper für den Neubeginn: eine grosse Liebeserklärung an das Theater, die alles einschliesst, von den Urgründen der Maskerade bis zur sublimen Artistik des Spiels. Die vom Exilanten französisch komponierte, in den USA 1921 uraufgeführte Oper steht in diesem Sinn auch für eine Rückbesinnung und eine Suche: weg von der Oper des emotionalen Hochdrucks, hin und zurück zum Spektakel und naiven Zauber der poetischen Intelligenz. Die Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier haben keinen Moment verpasst, mit Theaterphantasie in diesem Geist zu überraschen, farbig, beweglich spielt dazu die Bühne von Christian Fenouillat mit, und eine überbordende Fabulierlust lebt sich in Agostino Cavalcas Kostümen und in den Masken aus – fast zu gedrängt in den beiden ersten Akten, im betörenden Bilderfluss dann zumal im dritten und vierten Akt.

Das ganze Theater

Auftritte vom Bühnenhimmel, aus der Versenkung, Donner, Blitz und Kacke, skurrile Geister, engelhafte Prinzessinnen – das totale Theater gibt es in zwei Stunden, und dafür sorgt spielfreudig – der Tenor ist auch Jongleur – ein musikalisch wie darstellerisch starkes Ensemble. Dem Prinzen (Rolf Romei) glaubt man das hypochondrische Bauchweh und die Verzückungen der Liebe zur holden Ninetta (Agata Wilewska), sein Begleiter Trouffaldino (Karl-Heinz Brandt) gewinnt als rührend clowneske Hauptfigur unsere besondere Sympathie, die höllische Zauberin Fata Morgana (Ursula Füri-Bernhard) schüchtert fortissimo ein, Tchélio, der Rivale von der himmlischen Fraktion (Bjorn Waag), schmeichelt sich mit Wohlklang ein, Clarice (Rita Ahonen) und Léandre (John In Eichen) geben sich hochdramatisch selbst in der Badewanne, und neben der Köchin (Hans-Peter Scheidegger) mit ihrem Bassgewicht, dem traurigen König (Stefan Kocan) brillieren weitere Mitwirkende, vor allem die Choristen im rhythmisch prägnanten Einsatz – wie alle in einem Spiel, das nicht Tragödie ist und auch nicht Komödie, sondern eben das ganze Theater. Es soll leben.