Puppen-Gefühle

Tobias Gerosa, Blick (30.04.2007)

Werther, 28.04.2007, Luzern

«Werther», Oper von Jules Massenet (1842-1912) nach Goethes berühmtem Briefroman, lebt von der Titelfigur und den grossen Emotionen. In der Luzerner Inszenierung kommt weder das eine noch das andere zur Geltung. Premiere war am Samstag.

Kantige Findlinge liegen um den hellen Holzkasten von Charlottes Heim: Es sind zwei Sphären, die nicht zusammenkommen können - genau wie Albert und Werther in Massenets Oper von 1892. Hier der gutbürgerliche, solide Ehemann, dort der empfindsame Dichter und labile Schöngeist. Und dazwischen steht sie, verheiratet mit dem einen, verliebt in den andern. Das muss zur Katastrophe führen, die hier bittersüss auskomponiert ist.

Regisseur Stephan Müller, der Ex-Direktor des Zürcher Neumarkt-Theaters, verschiebt den Blickwinkel ganz in die Perspektive Charlottes. Die ersten beiden Akte wirkt das gestelzt, die soliden Nebenfiguren wie auch Charlotte und Werther agieren wie Puppen mit einstudierten, seelenlosen Bewegungen und damit in grösstem Kontrast zur Musik.

Erst nach der Pause beginnt Müllers Interpretation zu greifen. Statt Werthers Selbstmitleid sehen wir, wie sich Charlotte in den Wahn steigert, dass sich Werther umbringe. Das kommt Tanja Ariane Baumgartners Charlotte entgegen. Auch wenn Baumgartner gelegentlich zu laut und schrill wird, bekommt ihre Figur jetzt Tragik. Und endlich passt sogar die Unbeteiligtheit Jason Kims als stimmlich dick auftragender Werther, die noch mehr irritiert als seine Probleme mit dem französischen Stil.

Weil auch das Orchester unter Rick Stengards statt auf Farben auf blosse Kraft setzt und das kleine Luzerner Theater immer wieder zudröhnt, müssen die Sänger forcieren. Resultat ist Krampf statt Eleganz.