Ein etwas lautstarker «Werther»

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (30.04.2007)

Werther, 28.04.2007, Luzern

Als psychologisches Kammerspiel hat Stephan Müller Jules Massenets Oper «Werther» in Luzern inszeniert. Die musikalischen Finessen der Partitur blieben dabei unter Rick Stengards Leitung leider oft auf der Strecke.

Jules Massenets «Werther» ist Stephan Müllers dritte Operninszenierung nach «Dido und Aeneas» vor zwei Jahren ebenfalls in Luzern und Mozarts «Figaro» in Bern. Der Schauspielregisseur und ehemalige Leiter des Zürcher Neumarkt-Theaters hat genau hingehört und den Strudel der Leidenschaft, wie ihn Massenet in den vier Akten immer schneller drehen lässt, in einer konzentrierten Inszenierung auf die Bühne gebracht.

Charlotte im Zentrum

Massenet, der hundert Jahre nach Johann Wolfgang von Goethes Briefroman dieses Sujet zu seiner zehnten Oper wählte, stellte nicht so sehr die Titelfigur, sondern vor allem Charlotte, ihre Konflikte zwischen den Pflichten als Ehefrau und Mutter-Ersatz einerseits und der fatalen Liebe zu Werther andererseits ins Zentrum seiner Oper.

Die Bühne von Esther Bialas bildet selbst schon diesen Gegensatz ab: Ein viereckiger Holzraum steht für Haus und Ordnung, für Heimat und Geborgenheit, ein paar Papp-Felsen, verstreut aussen herum, bilden Chiffren für Natur, aber auch Erotik und zerstörerische Leidenschaft - Werthers Welt. Müllers Personenführung fokussiert ebenfalls ganz auf Charlotte. Um sie dreht sich alles, sie und ihre widerstreitenden Gefühle sind das Thema der Oper und von Müllers Arbeit. Dabei hätte er die Figur noch etwas deutlicher führen dürfen. Ihre Gesten sind präzis und nachvollziehbar, symbolisch aufgeladen und in ihrer Bildkraft meistens stark, aber sie bleiben weitgehend künstlich, wirken mehr wie Chiffren und behauptete Zustände, als dass uns eine wirkliche Person in ihrer höchsten Liebes- und Seelennot entgegentreten würde.

Zu dynamisch und zu laut

Auch musikalisch blieben bei der Aufführung in Luzern einige Wünsche offen. Rick Stengards am Pult des Luzerner Sinfonieorchesters erwies sich als wenig raffinierter und sensibler Massenet-Dirigent. Fast vorbehaltlos setzte er auf Effekte und dramatische Akzente sowie auf die solistischen Linien im Orchester und verstand es kaum, die gerade in dieser Musik so wichtigen Klangfarbenmischungen zustande zu bringen.

Vieles in diesem Massenet-Klangbild wirkte holzschnittartig, und fast immer war die Dynamik eine Stufe zu hoch für dieses kleine Theater. Das lag auch an den Sängern der beiden Hauptpartien, die sich scheinbar beide in einem Verismo-Stück zu befinden wähnten. Auch sie verwechselten Dramatik nur all zu oft mit Lautstärke. Dabei wären sowohl bei Tanja Ariane Baumgartner als Charlotte als auch bei Jason Kim als Werther die stimmlichen Voraussetzungen eigentlich durchaus hervorragend. Aber eben, beiden Sängern fehlte das Stilgefühl für diese Art von Musik, und vom Dirigenten kam auch keine Hilfestellung. Die weiteren Partien waren ansprechend besetzt: Vor allem Gregor Dalal als Amtmann und Simone Stock als Sophie vermochten zu überzeugen.