Heilige Legende, sprechendes Drama

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (18.05.2007)

Jeanne d'Arc au bûcher, 16.05.2007, Basel

«Jeanne d'Arc au bûcher» von Arthur Honegger im Theater Basel

Ist das nicht ein bisschen gestrig: das Stück von Paul Claudel, die Musik von Arthur Honegger? Natürlich nimmt man wieder mit Staunen zur Kenntnis, dass «Jeanne d'Arc au bûcher», worin es um Frankreich im 15. Jahrhundert geht, um die Besetzung von Teilen des Landes durch die Engländer und die Wiederherstellung der nationalen Einheit durch eine wundersame Jungfrau - dass dieses Werk 1935 fertig gestellt war, aber nicht wie geplant an der Pariser Oper zur Uraufführung kommen konnte, weil das Land erneut besetzt und geteilt war. Und mit Interesse ruft man sich in Erinnerung, dass es der junge, ehrgeizige Paul Sacher war, der das dramatische Oratorium 1938 im Musiksaal des Basler Stadtcasinos zur konzertanten und 1942 im damaligen Stadttheater (und heutigen Opernhaus) Zürich zur szenischen Uraufführung brachte. Aber der hohe Ton der gesprochenen Partien, die melodramatischen Einschübe, die freundliche Vermischung der Stile in der Musik - zeugt das nicht von einer nahen und gerade darum fernen Vergangenheit?

Jedenfalls: Dass das Theater Basel «Jeanne d'Arc au bûcher» auf den Spielplan nimmt, zeugt von Mut - wie überhaupt das von Georges Delnon geleitete Haus im Musiktheater mehr Biss erkennen lässt als manches andere (und besser dotierte) Institut der näheren und weiteren Umgebung. Es gab die Gelegenheit, dieser Musik erneut zu begegnen, dabei das eine oder andere Vorurteil über Bord zu werfen und zu erkennen, dass Honegger vielleicht doch der bessere Komponist war, als gemeinhin angenommen wird. Gewiss geht das auch auf die musikalische Einstudierung zurück, die von hoher Qualität ist. Am Pult steht, als Gast, der Heidelberger Generalmusikdirektor Cornelius Meister, ein junger Dirigent, von dem man wohl kaum zum letzten Mal gehört hat. Überzeugend trifft er jene ruhig ausschwingenden Tempi, die an die Pendelbewegungen von Glocken erinnern. Der von Henryk Polus betreute Chor des Theaters Basel hat schon bessere Zeiten gesehen; die Frauenstimmen bringen so viel Vibrato ein, dass die Homogenität des Klangs leidet. Das Sinfonieorchester Basel dagegen hat einen sehr ordentlichen Auftritt - sein Soloflötist gar einen ausserordentlichen.

Allerdings steht das Musizieren bisweilen doch arg unter Druck. Die Farbigkeit von Honeggers Musik kommt nur zur Geltung, wenn sie Raum und Luft hat. Und dass die Ondes Martenot so sehr in den Gesamtklang integriert sind, dass sie kaum als Besonderheit wahrzunehmen sind, ist bedauerlich. Es mag damit zusammenhängen, dass die Aufführung den Akzent insgesamt vom Oratorischen weg auf das Dramatische hin legt - und das im Rahmen des Versuchs, einer möglichen Aktualität des Stoffs auf die Spur zu kommen. Im Programmheft sind Aufzeichnungen einer schizophrenen Patientin abgedruckt, die Stimmen gehört, Erscheinungen wahrgenommen und sich selbst darum für auserwählt gehalten hat. Von diesem Denkansatz her bringen der junge Regisseur David Hermann und der Ausstatter Cristof Henzer «Jeanne d'Arc au bûcher» auf die Bühne. Die Alltagswelt, wie sie ein öffentliches Telefon andeutet, verbindet sich mit Phantasiebildern und Halluzinationen, und die grosse Chorszene in der Mitte, die vom Einzug des Königs in Reims handelt, kommt in Formen und Farben zur Geltung, die an Produkte aus der Maltherapie erinnern.

Dabei erscheint das eine oder andere gewöhnungsbedürftig. Die in Claudels Text von Tieren durchgeführte Gerichtsverhandlung gegen Jeanne d'Arc zum Beispiel nimmt Porcus alias Cochon alias Cauchon, seines Zeichens Bischof von Beauvais und Inquisitor seiner Zeit, zum Anlass für eine hastige Grillparty am Strassenrand. Als szenische Metapher leuchtet das ein; warum aber dem optischen Effekt so viel, der Verständlichkeit des französischen Textes jedoch so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist nicht einzusehen. Das gilt weniger für Marianne Denicourt, welche die heikle, weil leicht ins Pathetische kippende Partie der Jeanne eindrücklich meistert, umso mehr aber für Sébastien Dutrieux, der als Frère Dominique ein derart verhetztes Staccato pflegt, dass nur der Blick auf die Übersetzung hilft. Unter den Sängern fallen die Sopranistin Agata Wilewska (La Vierge) und der Tenor Karl-Heinz Brandt auf, aber auch das Ensemble darf das Theater Basel durchaus herzeigen.