Thomas Meyer, Tages-Anzeiger (18.05.2007)
Eindringlich: Arthur Honeggers Hauptwerk «Jeanne d’Arc au bûcher» am Theater Basel.
Ein populäres Werk, «im besten Sinne des Wortes gemeint», wollten sie schaffen, «fähig, ein breites Publikum anzusprechen. Und dieses Publikum soll entscheiden, ob uns das gelungen ist oder nicht.» Der Komponist Arthur Honegger, der das schrieb, und der Dichter Paul Claudel schufen mit «Jeanne d’Arc au bûcher» einen eigenen Typ Musiktheater: ein szenisches Oratorium mit gesprochenen Hauptrollen und einem allgegenwärtigen Chor, holzschnittartig einfach und pathetisch grandios, einem Mysterienspiel ebenso ähnlich wie einer mittelalterlichen Eselsmesse, modern aber in der Erzählweise, die das Leben der Johanna von Orléans in Flash-Backs darstellt, modern auch in der Orchestration mit Klavieren, Saxofonen und den zuweilen aufheulenden Ondes Martenot, jenem damals noch jungen elektronischen Instrument.
Man kann dieses Werk «originalgetreu» aufführen: kindlich strahlend zuweilen und doch auch démodé. Oder man kann die immer noch ungeheuerliche Geschichte der jungen Frau aus dem lothringischen Domrémy, die auf Geheiss himmlischer Stimmen zum Schwert greift, die Engländer besiegt und Frankreich eint, neu deuten: aber wie? Jeanne als eine Art Schizophrene, als multiple Persönlichkeit? Seltsamerweise würde das Wundersam-Unglaubliche durch die Darstellung solcher Verrücktheit eher zurechtgerückt.
Eindruck der Unentrinnbarkeit
In Basel, wo Paul Sacher das Werk vor 69 Jahren konzertant uraufführte, suggeriert man Neuzeit. Unbestimmt bleibt, wo und wann genau: ein dunkler, abgeschlossener, mit hohem Zaum abgeschirmter Ort, eine Art Silo, ein Gewächshaus, ein Telefon. Zu einer geschlossenen Anstalt will das Bühnenbild von Christof Hetzer nicht ganz passen, und doch vermittelt es den Eindruck der Unentrinnbarkeit, des Aussenseitertums. Jeanne steht am Pranger, wird sterben. Dazu entwickelt Regisseur David Hermann eine zeitgemässe Version der Geschichte. Es fällt ihm nicht immer ganz leicht, moderne Entsprechungen zu Claudels Szenen zu finden: Das von Schwein, Schaf und Esel durchgeführte Tribunal wird hier zu einer Grillparty, zum Ebenbild fleischverschlingender Gleichgültigkeit.
Weniger einleuchtend gelingt das Kartenspiel, in dem nach Claudel die Mächtigen ihre Politik machen; bei Hermann erscheint es als harmlose Choreografie mit ausgeflippten Jugendlichen. Dennoch findet diese Inszenierung über siebzig Minuten hinweg zu einer geschlossene Form und einer sich steigernden Eindringlichkeit. Der Sarkasmus des Stücks tritt dabei in den Hintergrund. Und die Jeanne von Marianne Denicourt ist eine einsame Verzweifelte.
Unter der musikalischen Leitung von Cornelius Meister entfaltet das Sinfonieorchester Basel eine wunderbare klangliche Wärme und Dichte, und der Chor des Theaters Basel liefert dazu ein grossartiges Klangfundament. Honeggers Musik bewegt so aufs Neue.