Packendes Gesamtkunstwerk zwischen Oratorium und Oper

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (18.05.2007)

Jeanne d'Arc au bûcher, 16.05.2007, Basel

Arthur Honeggers szenisches Oratorium «Jeanne d'Arc au bûcher» erhielt am Mittwoch im Theater Basel eine packende und intensive Umsetzung.

Es ist eine interessante Mischung aus Oratorium und Oper - Arthur Honeggers (1892-1955) «Jeanne d'Arc au bûcher». Als «szenisches Oratorium» bezeichnete es der in Le Havre geborene Komponist mit Schweizer Eltern, aber französischer Lebensweise und Kunstauffassung. Paul Claudel (1868-1955), der Symbolist und kompromisslose katholische Moralist, schrieb ihm das Libretto, hatte aber auch beim Kompositionsprozess, der in einem spannenden gegenseitigen Wechselspiel von Gesang und Sprache resultierte, grossen Einfluss. Eine Zusammenarbeit, die später auch bei «La Danse des Morts» erneut funktionierte.

Der Chor als Protagonist

Am Mittwoch wurde Honeggers Oratorium im Theater Basel aufgeführt. Auch die musikalische Uraufführung dieser Johanna auf dem Scheiterhaufen fand 1938 in Basel statt. Da ist die Assoziation klar: Paul Sacher (1906-1999) hatte die Hände im Spiel, der Freund und Förderer Honeggers, der hier zwar noch nicht Auftraggeber war wie später etwa in der vierten Sinfonie «Deliciae Basilienses», aber von den Querelen der Pariser Opéra, wo die szenische Uraufführung mit der Tänzerin Ida Rubinstein (1885-1960) vorgesehen war, profitieren konnte. Die szenische Fassung erlebte dann schliesslich ebenfalls in der Schweiz, 1942 in Zürich in Hans Reinharts deutscher Übersetzung, ihre Uraufführung.

Wie es sich für ein Oratorium gehört, ist der Chor Protagonist des Stücks. Er hat sowohl atmosphärische Aufgaben wie klare Rollenprofilierungen als Menschenmenge zu erfüllen. Die bekannte Qualität des Basler Theaterchors zeigte sich auch hier wieder von ihrer besten Seite. Auch wenn an der Premiere am Mittwoch noch nicht überall letzte Präzision herrschte, so überzeugten doch die herausragende Homogenität und Klangkultur dieses Ensembles in jeder Beziehung. Gerade die leisen, atmosphärisch dichten Passagen erhielten dadurch packende Intensität, und die surrealen, in dieser Inszenierung als psychische Krankheit gezeichneten Visionen der Johanna erwuchsen ein ums andere Mal zu schlüssiger Grösse und Suggestionskraft. Das lag natürlich auch am Dirigenten, dem jungen Heidelberger Generalmusikdirektor Cornelius Meister, der diese grandiose, ausdruckskräftige Musik klug zu ihrer Wirkung zu bringen verstand, immer wieder die leisen Töne suchte und die raffinierten Klangmischungen in Honeggers Orchestrierung wunderschön herausarbeitete.

Bravouröse Darsteller

Neben dem Chor gibt es nicht viel zu singen. Agata Wilewska als Maria und Karl-Heinz Brandt als Richter Porcus entwickelten noch am meisten Profil. Die zentralen Rollen hat Honegger zwei Schauspielern anvertraut: Die bekannte Filmschauspielerin Marianne Denicourt als Johanna und Sébastien Dutrieux als Mönch füllten sie in Basel bravourös aus. Leider versagte die Tontechnik, sodass Johanna zum Schluss mit der Stimme am Ende und kaum mehr zu verstehen war. Ansonsten aber spielten sie beide mit grosser Eindringlichkeit.

Funktionierende Grundidee

Das Gelingen des Theaterabends war auch das Verdienst des jungen Regisseurs David Hermann. Seine Grundidee funktionierte beeindruckend. Er verbannte allen Mittelalter-Gruselkitsch und sämtliche religiösen Verklärungen und schilderte diese Johanna als Schizophrenie-Patientin. Sie lebt in einer ganz normalen Welt von heute, aber nimmt sie völlig fremd und surreal wahr. Der Sonntagsnachmittag-Grillausflug wird so zum Horrortrip einer Inquisitions-Gerichtsszene, die junge Frau in der Telefonkabine mutiert zu Maria, zwei Müllsäcke zu den heiligen Marguerite und Katharina, die sie mit Stimmen und Botschaften erreichen, die natürlich nur sie selber hört. Ganz unsichtbar für die anderen bleibt der Mönch, der sie durch das Lebensdrama der Jeanne d'Arc und schliesslich auf den Scheiterhaufen führt: hier ein simples Trafo-Häuschen mit schlecht gesicherter Türe.

Gut an Hermanns Inszenierung ist diese Grundidee, aber genial war die Umsetzung. Da stimmte nun wirklich alles. Die Präzision und Detailliertheit, die konzise Sprache der Gesten und Aktionen erreichten ein Niveau von Klarheit, Schlüssigkeit und Eindringlichkeit, so wie es mindestens auf der Opernbühne kaum je zu finden ist.