Die ganze Welt eine Posse

Hanspeter Renggli, Der Bund (29.05.2007)

Falstaff, 26.05.2007, Bern

Giuseppe Verdis Oper «Falstaff» begeisterte am Stadttheater Bern als grandioses Abschiedsfeuerwerk
Die letzte Inszenierung des scheidenden Direktors riss das Publikum zu wahren Beifallsstürmen hin. Verdis Alterskomödie, Gramss’ vergnügliche Inszenierung und Nicola Alaimos phänomenale Leistung in der Titelrolle machten die erfolgreiche Mischung.

Drei Vorgaben bewogen Giuseppe Verdi, sich im Alter von fast achtzig Jahren noch einmal an ein Bühnenwerk zu wagen: Die Zusammenarbeit mit dem kongenialen Librettisten Arrigo Boito vollzog sich in «olympischer Heiterkeit», es sollte etwas Unerwartetes entstehen und der lange gehegte Wunsch einer Komödie ging in Erfüllung.

Die mit Spannung erwartete Premiere am 9. Februar 1893 in der Mailänder Scala gestaltete sich zu einem der glanzvollsten Ereignisse der italienischen Operngeschichte. Was Boito in diesem Werk an Wortwitz, welchen Reichtum der Komponist an Situationskomik und Klangporträts hervorgezaubert hat – jede Begegnung mit dieser turbulenten und hintersinnigen Musikkomödie eröffnet neue Ein- und Durchsichten. Vorausgesetzt, die musikalische Einstudierung vermag das hohe Niveau mitzugehen und die Regie das innere wie äussere Maskentreiben mit ebenso viel Sicherheit wie Tempo umzusetzen.

Hinreissende Besetzung

Verdis «Falstaff» ist für jedes Orchester eine echte Herausforderung. Es sind die feinen instrumentalen Anspielungen und virtuosen Kommentare, die der Sprache und den Bewegungen ihre Würze verleihen. Srboljub Dinic (musikalische Leitung) setzte den Schwung dieser Musik sowie deren lyrische Kostbarkeiten mit dem Berner Symphonie-Orchester mit viel Feingefühl und Präzision um. Insbesondere die Sicherheit in den Tempi und in den sich überstürzenden dramatischen Kontrasten verdienen ein Kompliment. Manche kleinen Soli demonstrierten die Qualität des Orchesters, andere hätten mehr Sorgfalt verdient. Und die vertrackten Ensembles namentlich im zweiten Teil des ersten Aktes, wo Boito nicht allein unterschiedliche Versmasse, sondern Verdi auch noch entsprechend widerborstige Rhythmen vorgeschrieben hat, wackelten für Augenblicke vernehmlich.

Grandioser Bariton

Gramss hat im jungen italienischen Bariton Nicola Alaimo einen herausragenden Interpreten des Falstaff engagiert und gemeinsam mit ihm auch ein hinreissendes Rollenporträt geschaffen. Die faszinierende Geschmeidigkeit und der gestalterische Reichtum seiner Stimme prädestinieren Alaimo an sich bereits für diese Lieblingsrolle der meisten Baritone. Doch es ist ebenso die virtuose Mimik und die Gestik, es sind die schütteren Reste einstiger Galanterie, das possenhafte Trippeln oder das donnernde Wüten, die dem Sänger die Sympathien des Publikums zufliegen liessen. Insgesamt zeigen sich die Männer als spielerisch wie sängerisch starke Fraktion: Robin Adams verleiht dem vor Eifersucht kranken Ford die notwendig starke Position, Eduardo Santamaria und Richard Ackermann Falstaffs wenig vertrauenserweckenden Zechkumpanen eigenständiges Profil. James Elliott vermochte die wunderbare lyrische Insel im Sturm der Turbulenzen zu Beginn des dritten Akts nur bedingt mit Ausdruck zu füllen und verwechselte poetische Zurücknahme mit ausgedünnter Linie. Unter den Frauen begeisterte vor allem Ursula Ferri als spritzige sowie in ihrem mächtigen Alt die Fundamente erschütternde Quickly. Ebenso überzeugten die Rollendebütantinnen Cristina Barbieri (Alice Ford) und Claude Eichenberger (Meg Page), sowie Barbara Bargnesi als Nannetta, deren girliehafte Erscheinung die kleinen Aussetzer entschuldigen dürften.

Dass Eike Gramss Verdis «Falstaff» liebt, ist unübersehbar. Die szenischen Details, die gekonnten und immer wieder neuen Konstellationen, die bald handfest-derbe, bald überraschende Personenführung, sie alle sind das Resultat eines mit allen Wassern älterer wie jüngerer Theatralität gewaschenen Komödianten.

Gramss stellt das Geschehen, ausgehend vom Text der grandiosen Schlussfuge «Tutto nel mondo è burla» auf eine kreisrunde Scheibe, die, einem Globus ähnlich, von einer Stoffhalbkugel eingefasst wird: Bühnenuniversum und Theaterhimmel. Das einfache wie wirkungsvolle Bildkonzept (Bühnenbild und Kostüme: Christoph Wagenknecht) verzichtet auf weitere Bauten und funktioniert ausschliesslich mit den spielwichtigen Versatzstücken wie zerschlissenem Polsterstuhl, Wäschekorb oder Paravent. Es ist eine heruntergekommene, ja verkommene Welt, aus der sich selbst der letzte Rest einstige Grösse verflüchtigt hat. Eine Welt der «ladri» eben, der Halunken und Tagediebe, die sich weder in historischen noch aktuellen, aber in drastisch charakterisierenden Kostümen tummeln.

Abschied

Eike Gramss hat in den sechzehn Jahren seines Wirkens am hiesigen Theater einen mächtigen Bogen geschlagen. Zwischen der Inszenierung des «Grand Macabre» 1991, die Ligeti übrigens als die gelungenste dieses Werks überhaupt betrachtete, und Verdis «Falstaff» 2007 scheinen zwar Theateräonen zu liegen. Aber grenzt das Komödiantische nicht hier wie dort ans Absurde, ans Surreale, an die Farce als Abbild des realen Alltags? Mochte auch manche Bühnenarbeit von Gramss heutigen Theaterbildern als wenig zeitgemäss, als bieder oder derb erscheinen, mit Verdis «Falstaff» bietet er nochmals brillante Theaterkunst – und hält sich, seiner Arbeit sowie uns allen einen Spiegel vor: «Tutto nel mondo è burla»!