Hanspeter Renggli, Mittelland Zeitung (29.05.2007)
Stadttheater Bern: Eike Gramss inszeniert Verdis «Falstaff» als Abschiedsfeuerwerk.
Die mit Spannung erwartete Premiere von Giuseppe Verdis «Falstaff» gestaltete sich am 9. Februar 1893 in der Mailänder Scala zu einem der glanzvollsten Ereignisse der italienischen Operngeschichte. Was Boito in diesem Werk an Wortwitz, welchen Reichtum der Komponist an Situationskomik hervorgezaubert hat › jede Begegnung mit dieser turbulenten und hintersinnigen Musikkomödie eröffnet neue Einsichten.
Es sind die feinen instrumentalen Anspielungen und virtuosen Kommentare, die der Sprache und den Bewegungen ihre Würze verleihen. Srboljub Dinic (musikalische Leitung) setzt den Schwung und die lyrischen Kostbarkeiten dieser Musik mit dem Berner Symphonie-Orchester mit viel Feingefühl und Präzision um. Die Sicherheit in den Tempi und in den sich überstürzenden dramatischen Kontrasten verdienen ein Kompliment. Einige kleine Soli demonstrierten die Qualität des Orchesters, andere hätten mehr Sorgfalt verdient. Und die vertrackten Ensembles im zweiten Teil des ersten Aktes wackelten für Augenblicke vernehmlich.
Eike Gramss, der scheidende Direktor in Bern, hat mit dem jungen italienischen Bariton Nicola Alaimo einen herausragenden Interpreten des Falstaff engagiert und gemeinsam mit ihm auch ein hinreissendes Rollenporträt geschaffen. Die faszinierende Geschmeidigkeit und der gestalterische Reichtum seiner Stimme prädestinieren Alaimo für die Lieblingsrolle der meis-ten Baritone. Doch es ist ebenso die virtuose Mimik und die Ges-tik, es sind die schütteren Reste einstiger Galanterie, das possenhafte Trippeln oder das donnernde Wüten, die dem Sänger die Sympathien des Publikums zufliegen lassen.
Insgesamt zeigen sich die Männer als spielerisch und sängerisch starke Fraktion: Robin Adams verleiht dem vor Eifersucht kranken Ford die notwendig starke Position, Eduardo Santamaria und Richard Ackermann Falstaffs Zechkumpanen eigenständiges Profil. Nur James Elliott verwechselte poetische Zurücknahme allzu sehr mit ausgedünnter Linie. Unter den Frauen begeisterte vor allem Ursula Ferri als spritzige, in ihrem mächtigen Alt die Fundamente erschütternde Quickly. Ebenso überzeugten die Rollendebütantinnen Cristina Barbieri (Alice Ford) und Claude Eichenberger (Meg Page) sowie Barbara Bar- gnesi (Nannetta), deren girliehafte Erscheinung die kleinen Aussetzer entschuldigen dürfte.
Die szenischen Details, die immer wieder neuen Konstellationen, die bald handfest-derbe, bald überraschende Personenführung, sie alle sind das Resultat eines versierten Komödianten: Eike Gramss liebt Verdis «Falstaff» › unübersehbar. Er stellt das Geschehen, ausgehend vom Text der grandiosen Schlussfuge, «Tutto nel mondo è burla», auf eine kreisrunde Scheibe, die, einem Globus ähnlich, von einer Stoffhalbkugel eingefasst wird: Bühnenuniversum und Theaterhimmel. Das einfache wie wirkungsvolle Bildkonzept (Bühne und Kostüme: Christoph Wagenknecht) verzichtet auf weitere Bauten und funktioniert ausschliesslich mit den spielwichtigen Versatzstücken wie zerschlissenem Pols- terstuhl, Wäschekorb oder Paravent. Aus Falstaffs kleiner Welt hat sich selbst einstige Grösse verflüchtigt. Eine Welt der «la- dri» eben, der Halunken und Tagediebe, die sich weder in historischen noch aktuellen, aber in drastisch charakterisierenden Kostümen tummeln.
In den sechzehn Jahren seines Wirkens am Berner Stadttheater hat Eike Gramss einen mächtigen Theaterbogen geschlagen. Zwischen der Inszenierung von Ligetis «Grand Maca-bre» 1991 und Verdis «Falstaff» 2007 scheinen zwar Theateräonen zu liegen. Aber grenzt das Komödiantische nicht hier wie dort ans Absurde, ans Surreale, an die Farce als Abbild des realen Alltags? Mochte auch manche Bühnenarbeit von Gramss als wenig zeitgemäss, als bieder oder derb erscheinen, mit Verdis «Falstaff» bietet er nochmals brillante Theaterkunst › und hält sich, seiner Arbeit sowie uns allen einen Spiegel vor: Die ganze Welt ist eine Posse.
Mit Verdis «Falstaff» bietet Gramss nochmals brillante Theaterkunst.