Skepsis und Heiterkeit zum Abschied

Herbert Büttiker, Der Landbote (30.05.2007)

Falstaff, 26.05.2007, Bern

Nicola Alaimo ist in der Abschiedsinszenierung des Intendanten Eike Gramss im Stadttheater Bern ein junger Falstaff. Aber jung ist diese Inszenierung von Verdis Alterswerk überhaupt.

Giuseppe Verdi und Arrigo Boitos 1893 uraufgeführter «Falstaff» bringt die Geschichte der «lustigen Weiber» dicht und engmaschig durchkomponiert auf die Bühne. Falstaffs Avancen, die Intrige der Frauen, die den dicken Ritter in der Themse baden gehen lassen, gleichzeitig dem eifersüchtigen Mann eine Lektion erteilen und obendrein einem jungen Paar zum Glück verhelfen, all dies ist – in drei Akten zu je zwei Bildern wunderbar rhythmisiert – ein einziger Spass und ein einziges Tagesgeschäft. Aber was an den Tag kommt, ist das prekäre Treiben der Menschen überhaupt, und das Lachen darüber ist nicht nur heiter, sondern auch sarkastisch, wenn am Ende die Fuge «Tutto nel mondo e burla» die aus der Fuge geratene Welt zwar notdürftig kittet, aber nur eines feststellt: Tutti gabbati – wir alle sind Geprellte, die in diesem Welttheater zusammensitzen.

Das Innere des Globus

Welttheater, das heisst für den Regisseur Eike Gramss und seinen Ausstatter Christoph Wagenknecht Rückgriff auf die berühmte runde Scheibe. Darüber spannt sich zur Begrenzung des Bühnenraums ein ballonartiges Segel aus leichtem und halb transparentem Tuch: Wir blicken – durch das schief gestellte Bühnenportal – in das Innere des Globus. Weiter heisst Welttheater dann minimal lokalisierte Ausstattung, maximale Konzentration auf die Figuren an sich, was die Inszenierung mit schöner Präzision einlöst. Wunderbar hingetupft sind die Zeichen für Schauplatz und Zeitkolorit: Falstaff im schottischen Kilt (oder auch ohne), für das bürgerliche Anwesen die Wäscheleine und vor den weissen Laken die bunten, ein wenig clownesken Bürgerklamotten. Unverzichtbar sind natürlich Paravent und Wäschekorb, und umwerfend Falstaffs Sturz in die Fluten: Wie tief, wie blau und fischreich die Themse vor dem Haus der lustigen Weiber vorbeifliesst – der Inszenierungscoup führt vor, wie es der unglückliche Ritter erkunden muss.

Man hört ja in Verdis ziselierter Komödienmusik sein ganzes tragisches Repertoire mit, eingebunden in die Motorik der burlesken Betriebsamkeit. Das Berner Ensemble modelliert unter der Leitung von Srboljub Dinic den ganzen Facettenreichtum mit vokalem und orchestralem Schliff, das Orchester stark in der Schlagkraft und – von ein wenig Schlacke abgesehen – subtil in der durchsichtigen Farbigkeit der Partitur, die Protagonisten selbst in riskanten Tempi prägnant und auf Augenhöhe mit dem Geist und Witz von Verdis doppelbödiger Musik.

Der zehnte Mann

Grandios wirbelt das Spiel auf der Bühne durch die ganze Klaviatur zwischen Slapstick und belcantistischer Poesie, düsterer Melancholie und aufbrausender Leidenschaft. So stattet Ursula Ferri die grossbusige Mrs. Quickly auch stimmlich mit kolossalen Comedy-Effekten aus. Robin Adam macht Fords Eifersuchtsmonolog zum virtuosen Amoklauf im Baritonfach. Cristina Barbieri als Alice sorgt kraftvoll und etwas gar ausladend für sopranistische Dominanz im Stimmenkonzert, Barbara Bargnesi und James Elliott mit jugendlichen Stimmen für die Anmut von Nanettas und Fentons Liebespoesie. Weitere wären zu nennen, die sich karikaturistisch prägnant und stimmlich präsent im Nonett mit Glanz und Gloria um die Wette singen.

Aber was wären die neun ohne den Zehnten? Was für das Stück gilt, hier bestätigt es die Aufführung mit Nicola Alaimo als junger Falstaff, der eher ein Caravaggio-Bacchus als ein alter Schwerenöter ist. Mit exquisitem Timbre gibt er der Figur alles Gewicht, aber auch federnde Eleganz, zupackend viril in der Attacke, sensibel im Legato – ein Sänger-Falstaff, wie er in den Noten steht und am Ende triumphiert: als derjenige, der mit der Ausnahmestimme den Ton angibt, und als derjenige, der in seiner Leibesfülle mehr Angriffsfläche bietet, aber auch mehr er selbst ist als die Schmächtigen um ihn: Sein «Tutti gabbati» war ein starker Abgang – Eike Gramss konnte sich ihm nach langem Applaus mit einem ebenso schlichten wie klaren Nachwort anschliessen, um den Bernern Adieu zu sagen.