Oliver Schneider, DrehPunktKultur (04.06.2007)
Das Opernhaus Zürich hat Riccardo Zandonais "Francesca da Rimini" ausgegraben. Ein Schatzkästlein mit Tand, aber auch einigen Juwelen, die ein Hervornehmen von Zeit zu Zeit rechtfertigen. Premiere am Samstag.
Zandonais Werke stehen nur selten auf den Opernspielplänen. Doch in Zürich ist immer wieder Platz für Raritäten abseits des Mainstreams – wie eben "Francesca da Rimini", eine Art "Tristan und Isolde" auf italienisch. Die schöne Francesca muss den hinkenden Giovanni heiraten, verliebt sich aber in seinen ungleich attraktiveren Bruder Paolo, der für den Bruder um die Braut wirbt. Zusätzlich kommt noch ein dritter Bruder ins Spiel, der einäugige und hinterhältige Malatestino, der ebenfalls in Francesca verliebt ist. Er schürt die Eifersucht Giovannis auf Paolo. Giovanni ertappt Paolo und Francesca schliesslich in flagranti und durchbohrt sie mit seiner Lanze rasend vor Eifersucht.
Das Libretto dieses Opernkrimis stammt von Tito Ricordi nach der Verstragödie des schillernden Dichterfürsten Gabriele d'Annunzio, der sich wiederum auf Dante und Boccaccio stützt. Ein typisches Drama des Fin-de-siècle mit symbolistischen und historistischen Elementen, voller Leidenschaft, Liebe und Pathos, das wie die Musik heute nicht mehr ganz leicht verdaulich ist. Melancholische Arien wechseln sich ab mit wunderbaren Liebesduetten zwischen Francesca und Paolo, dramatischen Aufschwüngen, symphonischen Zwischenspielen und impressionistisch angehauchten Quartetten der Frauen Francescas.
Entsprechend der Handlung überwiegen dramatische Momente, in denen geballte Klangmassen auf den Zuschauer einbrechen. Der Musik wirkt in diesen Momenten häufig vordergründig, was jedoch zum Glück an anderen Stellen teilweise kompensiert wird. Nichtsdestotrotz lässt sich nicht leugnen, dass Zandonais Musik etwas Epigonenhaftes anhaftet. Damit steht sie aber in perfektem Einklang mit d'Annunzios schwülstiger Tragödie.
Als Regisseur für diese Koproduktion mit dem Teatro Lirico di Trieste hat Alexander Pereira Giancarlo del Monaco gewonnen. Statt im finsteren Mittelalter lässt er die dunkle Geschichte in d'Annunzios letztem Refugium am Gardasee, in seinem "Vittoriale", spielen, einem Sammelsurium aus verfallen Statuten, Bronzeplastiken, vergoldeten Pfauen und anderem Kitsch. Der Zeffirelli-Schüler Carlo Centolavigna hat die Stimmung in prächtigen Bühnenbildern eingefangen: ein südländischer Garten mit üppiger Blumenpracht im ersten Akt, ein dunklen Saal, ein überladenes Schlafzimmer und ein bedrohlich wirkendes Speisezimmer für die übrigen Akte.
Mag auch der Abend im ersten Augenblick traditionell und gestrig wirken, so präsentiert er sich am Ende als eine kongeniale Möglichkeit, das disparate Werk in Szene zu setzen. Den stilistischen Mix in Musik und Libretto haben del Monaco und sein Ausstattungsteam überzeugend eingefangen.
Emily Magee in der anspruchsvollen Partie der Francesca überzeugt mit ihrem facettenreichen Sopran sowohl in den dramatischen Aufschwüngen als auch in den lyrischen Momenten. Ihr zur Seite als Paolo steht Marcello Giordani, dessen schwerer gewordene Stimme über eine tragkräftige Mittellage und vor allem eine strahlende Höhe verfügt. Sein Spiel wirkt allerdings neben der expressiven Magee zuweilen hölzern. Für Juan Pons kommt der gehörnte Ehemann Giovanni, der in Zürich im Rollstuhl sitzt, stimmlich zum richtigen Zeitpunkt, denn purer Schöngesang wäre hier fehl am Platz.
Die Überraschung des Abends ist Boiko Zvetanov, der als Malatestino die Rolle seines Lebens gefunden zu haben scheint. Publikumsliebling Nello Santi erzeugt am Pult eine prickelnde, sich aufladende Spannung und hält die Musikerinnen und Musiker zu einer souveränen Leistung an. Jederzeit hat er die Koordination zwischen Bühne und Graben im Griff und sorgt mit straffen Zügeln dafür, dass die Sänger nicht in den Klangwogen untergehen. Großer Schlussapplaus, etwas Ratlosigkeit und einige Buhs beim Auftritt des Regieteams.