Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (05.06.2007)
Als opulent ausgestatteter «Liebestraum» bringt das Opernhaus Zürich Riccardo Zandonais tragische Oper «Francesca da Rimini» auf die Bühne. Nello Santi dirigiert diese Zürcher Erstaufführung.
Nello Santi, Liebling des Zürcher Opernpublikums, ist ganz in seinem Element. Der italienische Altmeister mit dem charmanten Lächeln präsentiert zurzeit am Opernhaus Zürich eine italienische Rarität: Riccardo Zandonais Tragedia «Francesca da Rimini» von 1914 als Zürcher Erstaufführung. Eine musikalisch packende, szenisch aber ziemlich verstaubte Produktion, in welcher Giancarlo del Monaco Regie führt.
Riccardo Zandonai (1883-1944) war, obwohl er aus sehr einfachen Verhältnissen stammte, ein Hoffnungsträger der italienischen Oper nach Puccini. Der renommierte Verlag Ricordi förderte den jungen Komponisten mit grossen Opern-Aufträgen, so auch mit der «Francesca da Rimini». Zandonai hatte zu Lebzeiten bedeutende Erfolge zu verzeichnen, doch bei der Wahl seiner Libretti hatte er keine besonders glückliche Hand. Auch die «Francesca da Rimini» ist, obwohl das Thema von bedeutenden Literaten wie Dante Alighieri und Gabriele d'Annunzio stammt, für eine hochtragische Oper wie diese zu eindimensional und zu statisch.
Fragwürdiges Libretto
Die aus dem Mittelalter stammende Geschichte spielt auch auf die Entstehungszeit der Oper an. Sie ist geprägt vom vorfaschistischen Italien Mussolinis, von der diktatorischen Willkür des hässlichen Giovanni, an welchen Francesca zwangsverheiratet wird. Dabei liebt diese Giovannis Bruder Paolo den Schönen. Sie treffen sich heimlich, werden verraten und von Giovanni in flagranti entdeckt. Er rastet aus und durchbohrt beide mit einer Lanze. Nicht nur, dass in diesem Libretto die heitere Frühlingswelt den Frauen und das militärisch Gewalttätige den Männern klischeehaft zugeteilt wird, auch sprachlich gibt es einige Plattitüden, die zu peinlichen Lächerlichkeiten führen.
Giancarlo del Monaco betont mit seiner unreflektierten Ausstattungs-Regie die Schwächen dieses Librettos noch. Er lässt das Stück als «Liebestraum» des schlafenden Dichters spielen. Das erste Bild, in welchem die Mädchen mit der Braut Francesca in einem üppigen Garten neckisch spielen und den Bräutigam erwarten, das ist bei del Monaco ein üppig ausgestattetes, verwunschenes Gartenbild mit heiteren Mädchen in duftigen Frühlingskleidern (Kostüme: Maria Filippi). Aufwändig teuer ausgestattet sind auch die sehr konkret dargestellten Krieger mit ihren Uniformen, welche die gewalttätige Seite des Lebens aufzeigen. Grosse Jugendstil-Räume und «Décadence»-Sinnlichkeit (Bühnenbild: Carlo Centolavigna) fordern lange Umbaupausen und ziehen das Stück empfindlich in die Länge. Es dauert insgesamt dreieinhalb Stunden.
Facettenreiche Monsterpartie
Die Figuren werden jedoch nur sehr rudimentär geführt, die Charaktere gewinnen erst gegen Schluss an Profil. Die Francesca ist eine ausgesprochen fordernde und vielschichtige Partie. Sie reift vom Mädchen zur unglücklich Verheirateten bis zur leidenschaftlichen Geliebten - doch aufbegehren tut sie nie. Sie wartet in ihrem Gemach auf ihren Liebhaber oder auf ihren Mann, etwas anderes tut sie nicht. Dabei singt sie so grandiose Musik. Emily Magee vermag diese Monsterpartie von wagnerscher Kraft und impressionistischer Lyrik in all ihren Facetten auszuspielen. Sie entwickelt ihren hochdramatischen Ausbruch aus einer gut tragenden, erotisch weichen Mittellage, man nimmt ihr auch das monologische Leiden mühelos ab, und als sie aus sich heraustritt, wird sie zur grandiosen Seelenkraft, an welcher sich die zerstörerische Gewalt vergeht.
Das gross besetzte Orchester liefert dazu den schillernden Orchesterklang, sprechend im Detail, melodisch reizvoll, harmonisch üppig, aber für die Entstehungszeit von 1914 nicht allzu fortschrittlich. Richard Strauss hat zehn Jahre zuvor seine Salome und Elektra herausgebracht. Zandonais Musik offenbart jedoch eine plastische Dramaturgie, ein Theatertalent von einzigartiger Kraft. Es gelingt ihm, echte Gefühle, grosse Leidenschaft und lyrische Empfindsamkeit so zu präsentieren, dass sogar diese reichlich platte Geschichte beeindruckt. Nello Santi erwies sich am Premierenabend als versierter Dirigent, der die Hoch-Dramatik zum Schluss sorgfältig vorbereitete, um den Höhepunkt dann virtuos zu präsentieren.
Sängerisch hervorragend
Die Musikerinnen und Musiker des Opernorchesters kosteten auch die melodischen Schönheiten dieser Partitur aus und zeigten sich im Umsetzen der dramatischen Konzeption überaus präsent. Zur grandiosen Hauptdarstellerin Emily Magee passte Marcello Giordani als ihr Liebhaber Paolo ausgezeichnet. Trotz der von dieser Partie geforderten heldischen Kraft vermochte er auch den Schmelz der ersehnten Liebe eindrücklich umzusetzen. Der bösartige, einäugige Malatestino - ebenfalls ein Bruder des Herrschers Giovanni - gewinnt in Boiko Zvetanov einen körperlich gedrungenen, stimmlich aber um so giftigeren und hinterhältig agilen Interpreten. Juan Pons schliesslich vermochte als hinkender Giovanni mit grosser Ausstrahlung sowohl den Nichtsahnenden wie den Gehörnten mit leidenschaftlicher Stimmkraft doppelbödig zu charakterisieren.
In den Nebenrollen fiel vor allem Hélène Couture vom Internationalen Opernstudio als Sklavin Smaragdi angenehm auf, während Martina Welschenbach als Francescas Schwester Samaritana zur schrillen Schärfe neigte. Die vier Gespielinnen der Francesca wurden von Christiane Kohl, Sandra Trattnigg, Katharina Peetz und Irène Friedli mit zwitschernder Heiterkeit und böser Schadenfreude echt weibisch gegeben. Bleibt in dieser grossen Besetzung noch der Chor, der nicht sehr prägend auftritt, dafür aber farblich eine bedeutende Rolle spielt. Von Ernst Raffelsberger einstudiert, meisterte der Opernchor diese weiche und doch temperamentvolle Italianità souverän.