Ein musikalisches Poem aus Blut und Wollust

Thomas Meyer, Tages-Anzeiger (05.06.2007)

Francesca da Rimini, 03.06.2007, Zürich

Riccardo Zandonais Oper «Francesca da Rimini», die erstmals am Zürcher Opernhaus gezeigt wird, ist ein regelrechter Krimi.

Erlesene Räume, ein gepflegter und blühender Garten, hohe, noble Interieurs mit Renaissance-Skulpturen und Frauenporträts: Exquisit sind die Bühnenbilder, die Carlo Centolavigna für Riccardo Zandonais vieraktige Tragedia «Francesca da Rimini» gestaltet hat (umständlich offenbar auch, denn die Umbauten verlängerten den Abend von vorgesehenen drei auf fast dreieinhalb Stunden). Sie sind Räumlichkeiten nachempfunden, wie man sie im Vittoriale, dem Schloss des Dichterfürsten Gabriele D’Annunzio am Gardasee, findet. Und sie bilden den adäquaten Hintergrund für diese Liebestragödie, die freilich im 13. Jahrhundert spielt und die Dante schon in seiner «Göttlichen Komödie» erzählt.

Das Team um Regisseur Giancarlo del Monaco verlegt dieses Spätmittelalter ins Fin de Siècle, also in die Zeit des Dichters D’Annunzio und des Komponisten Zandonai, der auf Grund des Theaterstücks seine Oper schuf. Freilich ist das nur auf der Seite der Frauen konsequent durchgeführt: In ihren Kostümen (Maria Filippi), aber auch in ihren Gesten fühlt man sich an einen Jugendstil erinnert. Die Männerwelt dagegen wird durch ein stilisiertes, dunkles Mittelalter repräsentiert. Das entspricht durchaus zwei emotionalen Ebenen dieses Stücks, die durch das Liebespaar verhängnisvoll verbunden werden.

Diese Visualität, dieses Raumgefühl, das über weite Passagen eher auf Zustände als auf Aktionen zielt, findet sein Äquivalent in der Musik. Weniger von seinen unmittelbaren italienischen Vorläufern wie Puccini scheint Riccardo Zandonai (1883-1944) hier beeinflusst als von Wagner und Debussy. Er zeichnet grossartige Tableaux, findet ungewöhnliche Orchesterfarben, schafft Atmosphäre. Bezeichnenderweise hat er schon früh Filmmusik geschrieben, und eines seiner schönsten Orchesterwerke sind die malerischen «Quadri di Segantini» von 1931. So überlässt er auch hier dem Orchester für Momente die Führung. Die Solisten schweigen, der Chor steuert nur noch etwas Klangfarbe bei, und das Orchester des Zürcher Opernhauses, das Nello Santi souverän leitet, darf aufblühen und einen zuweilen eigentümlichen Farbenzauber entwickeln.

Diese Ästhetik deutet an, spart das allzu Explizite aus. So etwa, wenn zum Schluss des ersten Akts der schöne Paolo erscheint und an Stelle seines hässlichen Bruders Giancotto (Giovanni der Hinkende) um dessen künftige Braut Francesca wirbt. Eine Stelle, die von ferne an den nur wenig älteren «Rosenkavalier» erinnert. Sie bricht stumm eine Rose und wird sie Paolo reichen, damit ist das Schicksal besiegelt. Der Vorhang fällt. Die beiden werden später zum geheimen Liebespaar, hintergehen so den herrschenden Bruder. Dieser wird sie, weil der kleinere Bruder Malatestino die Liebenden verrät, in flagranti überraschen und ermorden.

Gewalttätige Intensität

In diesen eleganten Räumen und Klängen spielt sich Rohes ab: Intrige, Eifersucht, Mord. Das Fin de Siècle liefert gleichermassen den Background zur Leidenschaft der Liebe und der Rache. Ein Krimi - und dieser Gegensatz, den die Inszenierung betont, ist auch die Qualität des Stücks. Zandonai beherrscht das Heroische. Francesca ist eine Tragödin. Und wie der Komponist die Handlung im vierten Akt antreibt und zuspitzt, ist eindrücklich, zumal sich Juan Pons als Giancotto und Boiko Zvetanow als Malatestino sängerisch und schauspielerisch rückhaltlos in Szene werfen. Die Inszenierung erreicht eine gewalttätige Intensität - wenn auch nicht durchweg. Die Schlachtenszene des zweiten Akts etwa bleibt recht blass.

Giancarlo del Monaco vermeidet im Übrigen billige Gags, setzt ganz auf die Raumwirkungen und die Darsteller. Die Sänger arbeiten fast ständig unter Hochdruck. Ganz ausgepustet jedenfalls wirkte Emily Magee, die Titeldarstellerin, nach der Darbietung. Sie hatte alles gegeben, mit grosser Stimme und klarer Linie. Zusammen mit Marcello Giordani, der seinen Tenor als Paolo erstrahlen lässt, hat sie im dritten Akt eines der längsten Liebesduette der Operngeschichte zu bewältigen - was die beiden bis zum Höhepunkt des Kusses mit der ganzen Ambivalenz der Gefühle darstellen. Was in dieser Musik, aber auch in ihrer Gestaltung ein wenig zu kurz kommt, sind die zartesten Töne. Möglicherweise müsste Santi das Orchester doch noch etwas zurücknehmen. Die berührendsten Momente bleiben die kurzen Szenen Francescas mit ihrer Schwester Samaritana (Martina Welschenbach), der Sklavin Smaragdi (Hélène Couture) und mit Biancofiore (Christiane Kohl).

Was, so fragt man sich schliesslich, ist der Grund, dass sich dieses so spannende Stück im Repertoire nicht durchsetzen konnte? Nach seiner Uraufführung in Turin 1914 wurde es zunächst häufig gespielt, dann verschwand es bis in die 80er-Jahre in der Versenkung. Gelegentlich wird es heute wieder hervorgeholt, aber durchgesetzt hat es sich dennoch nicht. Vielleicht liegt das an der Darstellung D’Annunzios, die trotz aller Leidenschaft nicht wirklich in die Tiefe vorzudringen vermag und die Ästhetik in den Vordergrund stellt, vielleicht auch an Zandonais Musik, die trotz aller Klangschönheit, ja Modernität zuweilen auf Distanz bleibt: Der Gesang kristallisiert sich nur selten in Melodien aus, die sich im Ohr festsetzen (wie es Puccini wünschte), sondern ergiesst sich in einem ständig wechselnden Melos. Und doch bietet das Werk nicht nur eine musikhistorische Ergänzung, sondern echte Schönheiten, die zu entdecken sind. Die Zürcher Inszenierung bietet bis Ende Saison noch siebenmal eine gute Gelegenheit dafür.