Szenisch opulente Francesca von Rimini im Opernhaus

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (05.06.2007)

Francesca da Rimini, 03.06.2007, Zürich

Musikalisch eine Fortissimo-Orgie, szenisch eine Ausstattungsoper mit üppigen Dekors und ärmlicher Personenführung: Die Premiere von Riccardo Zandonais «Francesca da Rimini» am Sonntag in Zürich überzeugte nicht.

Er ist eine hochinteressante Figur der Kulturgeschichte, Gabriele D'Annunzio, italienischer Lyriker und Dramatiker, Frauenheld, Politiker und militärischer Draufgänger. Legendär sind seine tollkühnen Abenteuer im Ersten Weltkrieg, als er mit dem Flugzeug über dem feindlichen Wien kreiste und Flugblätter abwarf oder mit dem U-Boot in österreichischen Adria-Gewässern freche Flaschenpost-Botschaften verteilte. Und natürlich sein Handstreich nach dem Krieg, als er mit 2500 Soldaten die Stadt Fiume (heute Rijeka) entgegen aller Versailler Verträge einnahm und 16 Monate lang im Stil eines Volkstribuns regierte. Die Faschisten sahen in ihm einen Vorläufer und Geistesverwandten, seine Haltung ihnen gegenüber blieb ambivalent.

Zum ersten Mal in Zürich

Kulturgeschichtlich am meisten Einfluss haben D'Annunzios Gedichte in einer bildkräftigen, üppig wuchernden Sprache. Aber auch als Dramatiker spielte er eine Rolle. Eine seiner Eroberungen war die Schauspielerin Eleonora Duse, der er unter anderem das Vers-Drama «Francesca da Rimini» auf den Leib schrieb. Ein Stoff aus Dantes «Divina Commedia», den er mit einer Episode aus Boccaccios «Decamerone» verband: Francesca soll Giovanni heiraten. Der aber ist körperlich behindert, deswegen wird sein Bruder Paolo vorgeschickt, in den sich Francesca natürlich verliebt. Nach der Hochzeit findet sich Paolo bald in ihrem Bett. Giovanni jedoch überrascht die beiden und tötet sie. Ein Stoff, wie geschaffen für die Oper. Es war Riccardo Zandonai, der als Erster das Potenzial erkannte und mit Hilfe des Verlegers Ricordi die Rechte und ein Libretto von D'Annunzio erhielt. 1914 war in Turin umjubelte Uraufführung, ein Erfolg, der sich fortsetzte und in Italien bis heute anhält.

In Zürich stand die Oper zum ersten Mal auf dem Spielplan, dies dank dem Dirigenten Nello Santi. Normalerweise, wenn der mittlerweile 76-jährige Maestro italienische Oper dirigiert, ist das ein sicherer Wert. Diesmal nicht: Für die heterogenen Stilmischungen fand Santi kein Rezept. Zandonai verfügte über keine wirklich eigenständige Orchestersprache, aber er kompilierte geschickt: Manche Passagen in «Francesca da Rimini» klingen deutlich impressionistisch, andere weisen zu den Expressionisten voraus. Das meiste davon ging leider bei Nello Santi im unaufhörlichen Fortissimo unter, inklusive die Sänger, die nun wirklich nicht von der zartstimmigen Sorte sind: Juan Pons als Giovanni kam noch am besten über das dick instrumentierte Orchester, Boiko Zvetanov als Malatestino ebenfalls, aber das Liebespaar, Emily Magee, die als Ariadne noch brilliert hatte, und Marcello Giordani waren gezwungen, stets am obersten Limit ihrer stimmlichen Möglichkeiten zu singen.

Ausstattungsorgie auf der Bühne

Dass diese Produktion nicht wirklich ein Ruhmesblatt des Opernhauses Zürich werden wird, lag auch an der Inszenierung. Giancarlo del Monaco hatte die an sich nicht schlechte Idee, das Stück in D'Annunzios Villa «Vittoriale» spielen zu lassen. Sie ist vollgestopft mit gesammelter Kunst und Kitsch aus allen Ecken der Welt. Im Garten liess D'Annunzio sogar den Bug eines Kriegsschiffs aufstellen, und del Monaco nutzte es als effektvolle Auftrittsbühne für Giovanni. Dass zuvor mit Lanzen und Armbrüsten Krieg geführt wird, passt dann wiederum nicht so richtig. Statt einer Personenführung, die diesen Namen verdient, stellte del Monaco eine Ausstattungsorgie auf die Bühne mit verkalkten Operngesten im Zeitlupentempo, die ohnehin nur das abbildeten, was die Musik ohnehin schon sagt.

Am besten geriet die Schlüsselszene zwischen Giovanni und dem intriganten Malatestino, den Boiko Zvetanov beindruckend sang und spielte, ausgerechnet er, der in früheren Produktionen des Opernhauses jeweils fast nur durch laute Töne und unbewegliches Herumstehen aufgefallen war. Ansonsten versagte die Regie fast total: Wie der lahme Giovanni das Liebespaar mit einem einzigen Speerstoss umbringt, geriet zur Lachnummer des Abends, und dass Francesca und Paolo unwiderstehlich zueinander hingezogen werden, war zum Beispiel überhaupt nicht zu sehen: kein Funken Erotik, und das in einem Stück, das in seiner Sprache und Musik mit Sinnlichkeit, Lust und Begehren mindestens so aufgeladen ist wie Zandonais erklärtes Vorbild - Richard Wagners «Tristan».