Ein Theater der Farben

Christian Fluri, Mittelland Zeitung (18.09.2006)

Die Liebe zu den drei Orangen, 15.09.2006, Basel

Erfolgreicher Saisonstart mit Prokofjew-Oper - trotz Armin Jordans Kollaps.

Am Anfang stimmte noch alles: Das belgisch-französische Regie-Paar Mosche Leiser und Patrice Caurier inszeniert den Prolog von Sergei Prokofiews Oper «L’amour des trois oranges» klug und witzig. Auf der Bühne stellen sich Intendant Georges Delnon und Operndirektor Dietmar Schwarz vor, da stürmt der Chor die Bühne; jede Gruppe will das von ihr bevorzugte Theater sehen. Die Theaterleute selbst, die Menschen hinter der Bühne - die doppeldeutig «Les Ridicules» heissen - schreiten ein. Sie wollen mit «Der Liebe zu den drei Orangen» zeigen, was gutes Theater ist. Mit Ironie macht die neue Theatercrew in der Starproduktion ihre eigene Situation zum Thema des Prologs.

Dann der Schock: Armin Jordan, der frühere Musikdirektor, der nach 25 Jahren erstmals wieder am Theater Basel dirigiert, bricht zusammen. Der 74-jährige Dirigent hat einen Kreislaufkollaps erlitten und wird ins Spital gebracht. Nach einer Pause sagt Delnon: «Wir machen weiter, gerade weil wir dabei an Armin Jordan denken.» Lutz Rademacher, Korrepetitor und Dirigent, der das Werk mit einstudiert hat, übernimmt das Dirigat. Ensemble, Chor und Sinfonieorchester Basel und Rademacher zeigen eine packende Premiere: eine grosse Leistung.

Prokofjews absurde Oper von 1921 nach Carlo Gozzis Komödie (1761) ist ein Märchen mit Zauberern und Hexen, einem senilen König, melancholischen Prinzen und mit in Orangen eingesperrten Prinzessinnen. Diese Theatergeschichte wird von den «Ridicules» vorangetrieben und gelenkt. Prokofjew schrieb gegen die Tradition an, setzte die Gesangsstimmen in deklamatorischen Stil, schuf ironisch Bezüge zur Operngeschichte: Die schwarze Sklavin Smeraldina erinnert an Monostatos in Mozarts «Zauberflöte», Fata Morgana an die Königin der Nacht et cetera.

Leiser und Caurier bringen mit viel Fantasie farbenreiches, pralles Theater auf die Bühne. Verschiebbare farbige abstrakte Elemente (Bühne: Christian Fenouillant) schaffen Spielräume für die schrillen Figuren (Kostüme: Agostino Cavalca). Das ist ein Mix aus Zirkus und Comic. Nur die Personenführung dürfte manchmal konturierter, radikaler sein, und manche Scherze sind gar plump.

Die Regie arbeitet - wie der Comic - mit Klischees, hinterfragt diese: treffend der abgetakelte König im Rollstuhl, ebenso der korrupte machtsüchtige Minister Léandre als perverser, hohler Militärmann. Die zur Macht drängende Prinzen-Cousine Clarice tritt als Edelhure und Domina auf - hier fällt die Regie selbst ins Klischee. Die Prinzessinnen erscheinen als blonde Männerprojektionen.

Der Prinz, der sein Lachen wieder findet, wird mit der Liebe zu drei Orangen infiziert. Er macht sich auf, sie aus den Fängen der bösen Köchin zu befreien - gegen den Willen des Vaters. In dieser Auseinandersetzung erhalten Vater und Sohn Tiefe, Menschlichkeit. Die von Victor von Halem, dem grandiosen Bass, gespielte Köchin ist eine alte frustrierte und lüsterne Haustante/Hexe: eine böse Satire. Die befreiten Orangen werden immer grösser und schwerer - bis daraus die Prinzessinnen entschlüpfen: Das hat Poesie und Witz. Stark auch der Schluss: Fata Morgana versinkt - wie die Königin der Nacht - in die Bühnen-Unterwelt. Daraus wird das Ehepaar Prinz-Prinzessin als kleinbürgerliche Familie hochgefahren: Der triste Alltag unterläuft das Happy End.

Lutz Rademacher und das Sinfonieorchester Basel bringen die Partitur vielschichtig und lebendig zum Klingen. Grandios singt der Theaterchor und Extrachor. Ausgezeichnet gestalten Stefan Kocán den Rois de Trèfles und Andrew Murphy den Léandre. Tenor Rolf Romei weiss als Prinz mit feinem Schmelz zu gefallen. Überzeugend Karl-Heinz Brandt (Trouffaldino), Björn Waag (Zauberer Tchélio) und Rita Ahonen (Clarice). Ein wenig verschwommen singt Ursula Füri-Bernhard (Fata Morgana).

Das Premierenpublikum feierte die Aufführung: ein erster Erfolg für Delnons Crew. Und Armin Jordan geht es besser.