Federbusch kämpft gegen Eisenhelm

Mario Gerteis, Der Bund (12.06.2007)

Motezuma, 10.06.2007, Luzern

Antonio Vivaldis fragmentarische Oper «Motezuma» als schweizerische Erstaufführung am Luzerner Theater.

Eine pseudomexikanische Story, dazu viel barocke Musik, echte und gefälschte – das könnte spannend sein. Ist es aber nur zum Teil.

Fast ein Krimi: Von Antonio Vivaldis Oper «Motezuma» kannte man bloss das Libretto – kriegerische und amouröse Gerangel zwischen dem spanischen Mexiko-Eroberer Hernán Cortés (hier Fernando genannt) und seinem aztekischen Gegenspieler Motezuma.

Die Musik dazu allerdings schien verloren. Bis es 2002 zu einem spektakulären Fund kam: ein beträchtlicher Teil der Vivaldi-Partitur, knapp die Hälfte, wurde in Berlin entdeckt. Jetzt darf «Motezuma» auf der Bühne zu einer späten Karriere starten – allerdings in wechselnden Gewändern.

Zwiespältiges Lob

Die entscheidende Frage bleibt: Wie den fehlenden Rest vorab im 1. und 3. Akt ergänzen? Die unlängst erschienene Plattenaufnahme von Alan Curtis verwendet Stücke aus weiteren Vivaldi-Opern, die sich dem vorhandenen Text anpassen lassen.

Einen andern Weg beschreitet man in Luzern, das in Koproduktion mit dem Theater Heidelberg die dortige Fassung übernommen hat. Thomas Leininger, selber am Cembalo im Orchestergraben sitzend, verfasste die fehlenden Stücke. Bisweilen übernahm er Motive von Vivaldi, meist indes schrieb er eigene Arien nach barockem Strickmuster: «Mein Ziel bestand darin, guten Vivaldi zu komponieren.»

Wenn nun in Luzern verkündet wird, es sei kaum mehr zwischen originalem und imitiertem Barock zu unterscheiden, so muss das ein zwiespältiges Lob für den alten Meister bleiben. Unweigerlich kommt einem Strawinskys böses Wort in den Sinn, Vivaldi habe bloss ein einziges Stück komponiert, das aber fünfhundert Mal.

Wonnen und Klippen

Die Inszenierung wurde aus Heidelberg übernommen, die musikalischen Beiträge liefern die Luzerner selber – ein entscheidendes Plus. Nicht zuletzt, weil es hier neuerdings ein Barockensemble mit Originalinstrumenten gibt, «La Gioconda». Der als Gast zugezogene Michael Form dirigiert es stilbewusst, kann natürlich nicht alle Unebenheiten ausbügeln und muss gelegentlich den Bläsern einige Patzer durchlassen. Aber das tönende «Klima» stimmt, die barocke Klangwelt kann ihre Rhetorik entfalten, nicht zuletzt in den ausdruckstarken (von Vivaldi selber stammenden) Accompagnato-Rezitativen.

Fünf der sechs Rollen sind mit hauseigenen Kräften besetzt. Gerade der Zuzüger war die Enttäuschung, der Countertenor Bernhard Landauer als Ramiro (Bruder von Fernando und Liebhaber von Motezumas Tochter Teurile). Pikanterweise war diese Partie bei der Premiere 1733 in Venedig einer Frau als Hosenrolle anvertraut.

Für die einstigen Sopran-Kastraten (Eroberer Fernando, Aztekengeneral Asprano) werden richtigerweise bewegliche weibliche Stimmen eingesetzt, wobei sich insbesondere Teodora Gheorghiu hervorragend schlägt – kein Wunder, dass sie demnächst zur Wiener Staatsoper wechselt. Mit kernigem Bariton und grimmigem Aussehen darf sich Howard Quilla Croft als Motezuma behaupten.

Ironische Seitenhiebe

Und die Realisation, sinnigerweise einem mexikanischen Team (Regisseur Martin Acosta, Ausstatter Humberto Spindola) anvertraut? Kurz gefasst: Die Kostüme sind die Inszenierung.

Die Azteken mit viel Federschmuck samt farbenprächtigem Zubehör, natürlich halbnackt; die Spanier mit Panzer, Eisenhelm, Stiefeln und sonstigen militärischen Insignien. Da ist fast alles klar, und sie stehen denn auch bei ihren sehr langen Arien steif auf der Bühne herum. Das Ganze spielt offenbar in einem Museum, wobei sich Regisseur Acosta zwischendurch einige verschämte ironische Seitenblicke gestattet.

Denn ernst nehmen, bekannte er in einem Interview, könne er diese Fabel nicht. Zum Beispiel das Happy End samt völkerverbindender Hochzeit, derweil der echte Motezuma anno 1520 umgebracht wurde.