Opern-Comic entlarvt Indianerklischees

Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (12.06.2007)

Motezuma, 10.06.2007, Luzern

Vivaldis «Motezuma» wird in Luzern zur ironischen Indianerkomödie. Das Spiel mit Klischees und Imitationen funktioniert szenisch besser als musikalisch.

Die Eroberung Mexikos durch Cortez, von der Vivaldis 2002 wieder entdeckte Oper «Motezuma» 1733 handelte, ist eine todernste Sache. Aber vor der Premiere am Sonntag im Luzerner Theater stimmte Direktor Dominique Mentha bei der Begrüssung auf einen vergnüglichen Abend ein. «Sie wohnen heute einer Barockoper in Anwesenheit des Komponisten bei», witzelte er. Und dass er das Bonmot seinem Kollegen (und Koproduzenten) aus Heidelberg «geklaut» hatte, passte zu einer Produktion, die ironisch zwischen Original und Imitation hin- und herpendelt.

Das galt nicht nur für die Inszenierung des mexikanischen Regisseurs Martín Acosta (vgl. Ausgabe vom Samstag), sondern auch für die Musik. Denn die verschollenen Teile der Partitur zum vollständig erhaltenen Libretto wurden für diese Produktion nachkomponiert. Mentha garantierte, man werde den Unterschied zwischen Vivaldi-Original und -Imitation nicht feststellen.

Aufatmen mit Vivaldi

Wer den Blindtest machte, konnte da durchaus anderer Meinung sein. Zwar treffen die ergänzenden Musiknummern von Thomas Leininger Vivaldis Tonfall. Aber der Klang der Barockformation des Luzerner Sinfonieorchesters (La Gioconda) blieb im rekonstruierten ersten Akt sperrig und spröde. Umso mehr atmete man in der Arie «S'impugni la spada» auf. Hier steuerten nicht nur die Hörner zusätzlichen klanglichen Kitt bei. Der Blick ins Programmheft zeigte, dass es sich um die erste weit gehend original erhaltene Nummer Vivaldis handelte.

Der prachtvolle barocke Orchestersound, der den erhaltenen ­ zweiten Akt zum musikalischen Herzstück machte, bekräftigte die Skepsis gegenüber dem Entscheid, Barockmusik in diesem Umfang nachzukomponieren. Der Vorteil gegenüber dem im Barock geläufigen Verfahren, fehlende Teile durch Musik aus anderen Werken Vivaldis zu ergänzen, wurde jedenfalls nicht ersichtlich.

Trotzdem zeigte das Resultat, dass die Spezialformation der richtige Weg zur Barockoper ist: Eine solche Vielfalt an Farben, Schmelz und sprunghaft wechselnden, auch rauen Affekten, wie sie Dirigent Michael Form favorisierte, ist so nur mit alten Instrumenten möglich. Es zeigte sich aber auch, dass das junge Gioconda-Orchester noch nicht über die Routine verfügt, wie sie an Häusern mit langjähriger Erfahrung heute selbstverständlich ist. Und dass kontinuierliche Aufbauarbeit mit weiteren Barockprojekten umso wichtiger ist.

Vom Pfeilbogen zum Basketball

Während die musikalische Rekonstruktion den Unterschied zwischen Original und Imitation spannungslos kaschierte, ging die Inszenierung von Martín Acosta den gegenteiligen Weg. Auf den originalen Montezuma verweist im ersten Bild der berühmte Federschmuck, der hier als Gemälde im Museum von einem Wärter bewacht wird. Der Plot selbst wird darin als Opern-Comic gezeigt, der entlarvend mit Klischees spielt, mit denen Europäer in der Fantasie diese Indianergeschichte exotisch ausstaffieren.

Bewusst bleibt in der Schwebe, was da historisch echt und was blosses Klischee ist. Der Federschmuck der Indianer, der Pfeilschuss, den Montezuma auf Cortez abgibt, das Gold auf den Papierwänden, die Rüstungen der Spanier und die Schwertkämpfe: All das erinnert an Sandalenfilme und springt mit der Oper gewollt so unverfroren um wie diese selbst mit ihrem historischen Stoff. Das ist witzig gemacht und ermöglicht überraschende Pointen bis hin zum Basketballspieler, der an analoge Korbballspiele altmexikanischer Kulturen erinnert.

Facettenreiches Ensemble

Trotz der starken Atmosphäre des in betörende Farben getauchten und von Papierwänden wie von Standarten eingefassten Bühnenbildes (eine Augenweide die Ausstattung von Humberto Spíndola) wird dieser «Motezuma» damit zur Komödie. Das Darstellerensemble setzt bei dieser Gratwanderung unterschiedliche Akzente. Für frischen Schwung sorgt Caroline Vitale als stimmlich auftrumpfender Fernando, Tanja Ariane Baumgartner beeindruckt als Motezumas Frau mit überragender Aztekenwürde wie aus dem Bilderbuch, Howard Quilla Croft zeigt die Titelfigur passend als konturenlosen Zauderer.

Der kulturelle Graben zwischen Spaniern und Azteken wird am Liebespaar verdeutlicht: Während Simone Stock als Motezumas Tochter Liebesschmerz und Opferdemut vokal so innig darstellt, als wären sie echt, schillert der Altus Bernhard Landauer als Cortez' Bruder aalglatt zwischen der Rolle des säuselnden Geliebten und des spanischen Kriegssporn hin und her. Ein Spektakel für sich sind die virtuosen Koloraturen von Teodora Gheorghiu in der Rolle des kecken Aztekengenerals.

Wem all das als Beitrag zu einem historischen Kampf der Kulturen zu unverbindlich bleibt, wird im Schlussbild entschädigt. Der verstörende Auftritt der vermummten Gestalten, die wie Klone aus Ku-Klux-Klan und Grossinquisition wirken, stört das barocke Happy End. Da wird klar, dass die Geschichte, die da erzählt wird, nicht die ganze und noch nicht zu Ende ist.