Barocken Operntorso mit neuer Musik ergänzt

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (12.06.2007)

Motezuma, 10.06.2007, Luzern

Eine Barockoper, deren Komponist noch lebt: Dieses Paradox, gab es am Sonntag im Theater Luzern zu sehen. Denn Antonio Vivaldis Oper «Motezuma» ist ein Fragment, das von Thomas Leininger mit neuer Musik komplettiert wurde.

Man wusste schon lange, dass es die Oper «Motezuma» von Antonio Vivaldi (1678-1741) gegeben hat. Aber bloss das Libretto mit einer spannenden Geschichte im eroberten Mexiko, mit Kriegen und Liebesgeschichten zwischen Spaniern und Indios, war erhalten geblieben. Die Musik wurde erst 2002 per Zufall in den Archiven der Berliner Singakademie entdeckt. Allerdings ist nur der zweite Akt vollständig, von den anderen Stücken existieren ein paar Fragmente, und manche Arien sind ganz verschollen. Dennoch ging in Düsseldorf 2005 eine Uraufführung in moderner Zeit über die Bühne, der übrigens mitten in der Probenphase ein kurioser Rechtsstreit über die Genehmigung der Produktion vorausgegangen war. Wie in solchen Fällen üblich, wurden die fehlenden Teile der Partitur aus anderen Werken Vivaldis entlehnt und angepasst.

Beim Theater Luzern, das mit dem Theater Heidelberg bei dieser Produktion zusammenspannt, ging man nun einen anderen Weg: Man bat den deutschen Komponisten, Cembalisten und Vivaldi-Spezialisten Thomas Leininger, die fehlenden Teile im Stil von Vivaldi neu zu komponieren. Das Resultat überzeugte bei der Aufführung am Sonntag: Bis auf ein paar eher schematisch geratene Arien im ersten Akt traf Leininger den Tonfall Vivaldis virtuos.

Etwas überfordertes Orchester

Weniger virtuos spielte das Orchester La Gioconda, die Barockformation des Luzerner Sinfonieorchesters. Vor allem zu Beginn stellten sich unter der Leitung von Michael Form noch sehr viele Wackler und Ungenauigkeiten ein. Auch klangfarblich könnte man vor allem mit den Streichern noch einiges an Delikatesse und Variantenreichtum herausholen. Form schlug in den schnellen Arien passend rasante Tempi an, die hin und wieder die Geläufigkeit der Orchestermitglieder überforderten. Dass barocke Hörner und Trompeten enorm schwierig zu spielen sind, ist bekannt. Aber wenn es die Spezialisten gibt, die das virtuos hinbekommen, dann ist dieses Niveau der Massstab. Es gibt also noch einiges zu tun beim jungen Barockorchester in Luzern.

Die Sänger indes bewiesen mehr Koloraturgeläufigkeit und Sinn für barocke Ausdrucksnuancen. Insbesondere Theodora Gheorghiu als Aspano brillierte trotz einer eher kleinen Stimme. Tanja Ariane Baumgartner als Mitrena und Caroline Vitale als Fernando standen ihr kaum nach, agierten souverän und facettenreich in ihren Arien. Simone Stock als Teutile war eine Spur farbloser, Howard Quilla Croft als Motezuma hatte einige Kämpfe mit den Beweglichkeitsanforderungen seiner Partie auszufechten und der Countertenor Bernhard Landauer ebensolche mit der Intonation.

Unfreiwillige Parodie

Ach ja, die Inszenierung des Mexikaners Martin Acosta versetzte Vivaldis Oper übrigens in ein Museum. Ganz im Stil des Hollywood-Films «Nachts im Museum» von Shawn Levy wurde die Belegschaft lebendig. So tappsten halt auch mal Astronauten zwischen den pappkarton-bunten Mexikanern und den schwert-gerüsteten Spaniern herum. Lustig war das beileibe nicht, sondern bloss armselig, weil alle stets nur herumstanden und etwas gar hilflos auf das Ende der Arie warteten. Insbesondere die Kampfszenen waren an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Da wurde zur unfreiwilligen Parodie, was durchaus ernst gemeint gewesen wäre.