Farbenspiele

Chantal Steiner, VOX SPECTATRITIS (25.06.2007)

Szenen aus Goethes Faust, 24.06.2007, Zürich

Die gestrige Festspiel-Premiere brachte szenisch die am Ostermontag in der Tonhalle bereits konzertant aufgeführten „Szenen aus Goethes Faust“ von Robert Schumann. Ein Werk, das weder Oratorium noch Oper ist, sondern sich eben auf „Szenen“ beschränkt. Die Umsetzung klappt konzertant besser als auf der Opernbühne.

Das Opernhaus hatte für die Inszenierung ein Zweiergespann engagiert: den Schweizer Schauspieler und Regisseur Andreas Zimmermann sowie den einstigen Bürgerschreck und nun arrivierten „aktion“-Künstler Herbert Nitsch. Sie setzten das Werk mittels Farbprojektionen in Szene. Um diese gerecht zu beurteilen, müsste man – einmal mehr! – im Parkett sitzen; vom 2. Rang aus sind sie nur schwer zu bewerten. Persönlich fand ich die Farbgebungen der Bühne sowie der Kostüme ansprechend. Die Lichtregie war bisweilen exzeptionell, die Personenregie sehr statisch, die Chorführung wie im alten Griechenland. Allerdings wirkten die Projektionen bisweilen störend, da sie zu häufig wechselten – und das Fallen des Vorganges nach jeder Szene (zumindest vor der Pause) ging extrem auf die Nerven. Die Zuschauer fingen an zu plappern, man wurde jedes Mal brutal wieder in die Wirklichkeit zurück geholt. Und das Ausschlachten des Schweins??? Im Magazin steht: „Wert legte Andreas Zimmermann darauf, dass auch die zunächst nur als Videoeinspielung geplante Ausweidung eines toten Tieres, in diesem Fall eines Schweines, live in das Geschehen mit einbezogen wird. Nur auf diese Weise entsteht ein unmittelbarer Zusammenhang zu der «Faust»-Geschichte.“ Darin kann ich ihm ganz einfach nicht folgen. Für mich war es lediglich eine plumpe Reminiszenz an Nitschs sonstiges Werk (der übrigens bedauerte, dass „aus hygienischen Gründen, der Macht der gesellschaftlichen Tabus und der Ekelgrenzen“ am Opernhaus kein echtes Schwein zu sehen sei). Seit den 1960er-Jahren hat man sich schon an vieles gewöhnt, so dass das Schlachten des Schweins keine grosse Erregung hervorrief. Allerdings stört das konstante Plätschern des Bühnenblutes die musikalische Rezeption doch arg.

Musikalisch war die Aufführung ein Leckerbissen. Dies fing im Graben an, wo Franz Welser-Möst die Partitur aufs Feinste auslotete, einen transparenten Klangteppich wob und das bestens disponierte Orchester zu Höchstleistungen anspornte. Es lohnt sich, das Werk, das von Schumann vom Schluss zum Anfang hin und als Erlöserdrama komponiert wurde, zu entdecken (einige Kenntnisse von Goethes „Faust“ sind zum Verständnis von Vorteil). Vor allem, wenn man solch grandiose Protagonisten hat wie derzeit im Opernhaus.

Obwohl das Sängerensemble exzellent ist, stellt Simon Keenlyside doch alle in den Schatten. Der englische Bariton verfügt über eine exzellente Diktion und beherrscht jede Sprach- und Gesangsschattierung. Seine Stimme verfügt über schier unerschöpfliche Reserven, er kann bis ins leiseste Piano entweder im Falsett oder mit der Bruststimme singen wie auch zu dramatischen Ausbrüchen greifen. Er hat auch eine sehr gute Kondition, die es ihm erlaubt, am Kreuz hängend in den Schnürboden hoch- und wieder heruntergezogen zu werden oder mit einem Jungen auf dem Arm zu singen.
Günther Groissböck als Mephisto/Böser Geist/Pater Profundus ist ein überzeugender Gegenspieler. Sein sonorer Bass, der nirgends an seine Grenzen stiess, seine vorzügliche Diktion und seine Erscheinung vermochten das Publikum sehr für ihn einzunehmen. Unverständlich, warum das Opernhaus solch einen hervorragenden jungen Sänger ziehen lässt. Im Ensemble des nächsten Jahres figuriert er jedenfalls nicht mehr…
Roberto Saccà als Ariel (meist in luftiger Höhe singend – vermutlich hätte das Publikum sonst nicht gewusst, dass Ariel ein Engel ist…) und Pater Ecstaticus war um Klassen besser als am Ostermontag in der Tonhalle. Mit seinem perfekt geführten Tenor, einer strahlenden Höhe, einer guten Mittellage sowie einer mich immer wieder in Entzücken versetzenden stupenden Phrasierung reihte er sich nahtlos in die tolle Sängerriege ein.
Malin Hartelius (Gretchen/Una Poenitentium) bestach mit Sensibilität und viel Gefühl, und sie machte aus ihren Mitteln das Beste. Allerdings hätte ich mir einen etwas weniger leichten Sopran für die Rolle gewünscht.
Aus dem ebenfalls sehr homogenen Ensemble der vielen Nebenrollen stach vor allem Eva Liebau (Sorge und Solo-Sopran) heraus. Ihr glockenheller, silberner Sopran, gepaart mit ihrer Darstellungskraft, ist immer wieder eine Freude.
Und last but not least muss dem Chor des Opernhauses (verstärkt durch den Zusatz-, Jugend- und Kinderchor) ein Kränzchen gewunden werden. Sie bewältigten den schwierigen Part brillant.
Grosser Beifall für alle – selbst Herbert Nitsch wurde wohlwollend beklatscht (vielleicht half ihm der „Altersbonus“ dabei).

Fazit: Da dieses Werk sehr selten aufgeführt wird: unbedingt hingehen! Allerdings würde ich bei einer erneuten Programmierung doch die konzertante Fassung vorziehen (oder zumindest eine Inszenierung, die keine Bühnenumbauten bei heruntergelassenem Vorhang benotigt. Das müsste technisch doch zu machen sein!).