«Faust» zwischen Höhenflug und Absturz

Herbert Büttiker, Der Landbote (26.06.2007)

Szenen aus Goethes Faust, 24.06.2007, Zürich

Ferruccio Busonis «Doktor Faust» hatte im Opernhaus zu Beginn der Saison Premiere. Die letzte gilt Robert Schumanns Vertonung der «Szenen aus Goethes Faust»: ein bühnenfernes Opus als irritierendes Bühnenereignis.

Mit den «Szenen aus Goethes Faust», die ihn mit Unterbrechungen fast zehn Jahre beschäftigten, hat Robert Schumann keine Oper komponiert und keine komponieren wollen. Der Künstler, der Wiener Aktionist Hermann Nitsch, der sie jetzt in Zürich auf die Bühne gebracht hat, ist kein Opernregisseur, und auch auf der Bühne hat er sein «Orgien Mysterien Theater» im Sinn. Das ist gewiss eine verquere Situation für einen «Opernabend», aber resultiert aus der Multiplikation von zwei Minusfaktoren nicht das Positive? Viel Applaus, wenig Ablehnung, das Erlebnis einer Musik voller Schönheiten und einer Bühne von ganz eigener Ausstrahlung – das Opernhaus präsentiert mit seiner letzten Premiere der Saison eine Produktion, die aus vielem herausragt, aber auch irritiert.

Meditation über «Faust II»

Zunächst hat der Abend schlicht die musikalische Qualität, die Schumanns weniger dramatische als poetische Auseinandersetzung mit dem Thema mit Spannung und Lebendigkeit erfüllt. Die starke Segmentierung durch die kurzen Pausen zwischen den einzelnen Szenen gefährdet zwar den grossen Bogen, aber die Klangsorgfalt im Orchester, die Prägnanz der Solisten und Chöre und Franz Welser-Mösts feinnervig fliessendes Dirigat vermochten die Stimmung über das Ganze zu halten und zu entwickeln.

Lyrisch innig beginnt das dreiteilige Werk mit der «Szene im Garten». Malin Hartelius als Gretchen und Simon Keenlyside als Faust geben der Duettszene den Zauber des beseelten, zarten Liebesglücks. Mehr stimmliche Dramatik oder ein zurückhaltenderes Orchester wäre für die beiden folgenden Szenen «Gretchen vor dem Bild der Mater dolorosa» und «Szene im Dom» wünschbar gewesen, aber sie bescherten die vielleicht berührendsten Momente des Abends. Schumann ist hier schon am Ende mit Goethes «Faust I», mit der realistischen Tragödie also: Die expressive Deklamation, die Konfrontation im Dialog zwischen Gretchen und dem mit dem «bösen Geist», der Chor mit der «Dies irae»-Sequenz im Hintergrund fügen sich zum wuchtigen Operntableau.

Die «zweite Abteilung» beginnt mit der ersten Szene von «Faust II». Ihm gilt Schumanns grosse Meditation. Als Ariel meistert hier Roberto Saccà, in den Seilen hängend, eine anspruchsvolle Partie. Mit weiten Monologen Fausts, breit angelegten Chören, diversen metaphorischen Gestalten in kleineren Solos und Ensembles geht es bis zu «Fausts Verklärung», der von Schumann als «dritte Abteilung» fast strichlos komponierten Schlussszene, und zum «Chorus msysticus» (Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis ...).

Ensemble in Hochform

Da ist dann längst klar, dass Schumanns Fantasie nicht von szenischen, sondern von rein musikalischen (Heil-) Kräften bestimmt ist. Die wechselnden Rollen, die Günther Groissböck mit wandlungsfähigem Bass als Mephisto, als böser Geist und Pater Profundus souverän gestaltet, spiegeln auf ihre Weise den Weg zu diesem Aufschwung. Beglaubigt wird er von der musikalischen Präsenz, mit der ihn Simon Keenlyside als Faust und Doktor Marianus, die Chöre des Opernhauses, insbesondere auch die Jugend- und Kinderchöre, dann die Chorsolisten und das Ensemble (Eva Liebau, Ruben Drole und weitere) auf der Bühne ins Werk setzen.

Wie ist dem, was hier fast ereignislos Ereignis wird, szenisch beizukommen? Die Antwort, die Hermann Nitsch und sein Koregisseur Andreas Zimmermann geben, lautet: durch reine Oberflächen, Zelebrieren von Kostümen und Bühnenprospekten und durch plakative Symbolik: blutige Besudelung, rituelle Waschung, das Erlösungszeichen des Kreuzes. In all dem ist der Weg vom Erhabenen zum Lächerlichen kurz. Die Nähe der kinetischen Projektionen zum Bildschirmschoner ist eklatant, die Nähe des bedeutungsschweren Nichtstuns auf der Bühne zum esoterischen Zeremoniell auch, und das Pathos des Aktionisten, der «aus hygienischen Gründen» zum Tierkörper aus Kunststoff und zum Theaterblut greift, gerät ins Zwielicht.

Was hält den Kaulauer vom Hermann-Kitsch-Theater zurück? Das Gefühl, dass in der Spannweite zwischen kruder Aktion und purer Abstraktion eben doch Wesentliches erfasst ist – die Tragödie der Kindsmörderin und Fausts abgehobene oder überhebliche Erlösungsmystik –, stellt sich an diesem Abend auch ein. Auch stehen sich die Bildsprache der Inszenierung und Schumanns farbige Harmonik dann doch nicht so fremd gegenüber, und in der Potenzierung von Oratoriensänger und Bühnendarsteller erhalten die Figuren Strahlkraft.