Viel Lärm um Nitsch

Christian Berzins, Mittelland Zeitung (26.06.2007)

Szenen aus Goethes Faust, 24.06.2007, Zürich

Zürcher Festspiele: Am Opernhaus taucht Aktionskünstler Hermann Nitsch Schumanns «Faustszenen» in bunte Bilder. Etwas Blut spritzt auch.

Sie witterten nicht nur die Kontroverse, sondern hofften wohl auf einen saftigen Theaterskandal, die Auguren des Schweizer Fernsehens. Zum Schlussapplaus waren ihre Kameras im Parkett des Opernhauses positioniert. Viel mehr als etwas Unbehagen im Publikum beim Erscheinen des Aktionskünstlers Hermann Nitsch konnten sie nicht einfangen › hier ein «Buh», da ein «Uh!», dort ein zaghaftes «Bravo». Vor 20 Jahren wäre es anders gewesen.

Mittlerweile wird aber über Nitsch, der in den 60er-Jahren mit Mysterienspielen und rituellen Tierschlachtungen die (österreichische) Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, allenfalls geschmunzelt. Nitsch ist, wie Schriftsteller Thomas Bernhard gesagt hätte, zum Staatskünstler geworden. 2005 hat er den grossen Österreichischen Staatspreis erhalten und schon zehn Jahre früher hat er im Heiligtum der österreichischen Opernwelt, der Wiener Staatsoper, «Hérodiade» von Massenet inszeniert. Nach der Popularisierung seiner Kunst inszeniert er als 69-Jähriger in Zürich seine zweite Oper.

Damals in Wien wurde «Hérodiade» dank den Sängerdarstellern Agnes Baltsa / Placido Domingo ein Ereignis, von der Inszenierung blieben nur Blut und bunte, wallende Gewänder in Erinnerung. Wer nun die beiden Programmhefte nebeneinanderhält, stutzt: Auf beiden ist dasselbe Kleid abgebildet; ausser einem kleinen Streifen Gelb am linken Ärmel sind sie zum Verwechseln ähnlich. Und wer beide Aufführungen vergleicht, erkennt, wie schmal das Talent von Hermann Nitsch ist. Er hat sowohl damals wie jetzt in Zürich seine Farb- wie Schlachtfantasien auf das Stück gelegt.

Da in Zürich aber keine eigentliche «Handlung» zu sehen war, sondern Schumanns undramatische «Szenen aus Goethes Faust», stören diese vieldeutigen Fantasien wenig. Aber die bloss farbenreiche und ästhetisch geschmäcklerische Bebilderung durch Nitsch holt Schumanns Werk leider nicht aus dem Dornröschenschlaf.

Und trotz der auch in der Theorie angedeuteten Fixierung auf die Bilder musste Aktion auf die Bühne, musste ein Schwein her. Es ist eine Bühnenwerkstatt-Sau, die es aber in sich hat. Herman Nitsch dazu: «Fleisch wird zur feuchten Tastqualität imitiert. Die schleimig nassen warmen Gedärme werden mit kotersetzenden künstlichen Substanzen gefüllt.» Das kalte Tier hing in der dritten Szene «Im Dom» ziemlich unvermittelt an der Wand. Es wurde aber bestechend kühn aufgeschnitten, Theaterblut floss literweise und die Därme sabberten grauslich aus dem Leib. Einige Zuschauer kicherten, anderen wurde es schlecht. Der «Schlächter» und Titelheld Simon Keenlyside wurde danach gewaschen, ans Kreuz gebunden und in die Luft geschickt. Im zweiten Teil, den Szenen aus «Faust II», ist es dann auch mit dem letzten Rest an Bewegung vorbei, die Chormassen stehen wie im Konzert auf Podes-ten. Die Musik erhält endlich ihren Raum.

Skandalös war das alles nicht, aber dennoch ein schlechter Opernabend. Hätte es anders kommen können? Wer die Ausführungen Hermann Nitschs liest, wird nichts Falsches am Wunsch einer reinen Bebilderung von Schumanns «Faustszenen» finden. Aber will dieses Werk tatsächlich nicht dramatisiert werden? Wer diesen «Faust» auf die Opernhausbühne hievt, wünscht sich doch einen dramatischen Ansatz, stellte man Nitsch doch extra einen Regisseur zur Seite. Hätte das Opernhaus nicht gut daran getan, einen komplex denkenden Theatermacher einzuladen?

Die pausenlosen Farbwechsel auf den Leinwänden bringen die Gehörnerven leider durcheinander. Da tut es gut, mal die Augen zu schliessen und Franz Welser-Möst beziehungsweise dem Opernhausorchester zu lauschen. Dann hört man nämlich durchaus ein Drama. Der Dirigent legt es offen. Wer will nach den zweieinhalb Stunden immer noch behaupten, dass in dieser Musik nichts Dramatisches sei, nichts sein will?

Welser-Möst hat ein Sänger-ensemble, das seinesgleichen sucht: Man mag von Malin Hartelius halten, was man will, aber dass sie sehr genau in Welser-Mösts feinnervige Klangvorstellung passt, wird bei dieser Musik klar. Herausragend ist Simon Keenlyside: Da er seine so einzigartigen schauspielerischen Qualitäten nicht zeigen kann, charakterisiert er Faust ganz aus seiner Stimme, schont sich nicht und geht in die Extreme. Günther Groissböcks überaus warmer, sehr leicht und edel geführter Bass erinnert mehr an Sarastro als an Mephisto, aber was er stimmlich alles anstellt, ist famos. Ein bestechend sicherer Roberto Sacca singt gerade mal eine Nebenrolle.

Wunderbar, so wie es im April in derselben Besetzung, aber ohne Nitsch, in der Tonhalle konzertant zu hören war.