Reduziertes Orgien - Mysterien - Theater

Oliver Schneider, Wiener Zeitung (26.06.2007)

Szenen aus Goethes Faust, 24.06.2007, Zürich

Nitsch führt Regie am Opernhaus Zürich: Robert Schumanns "Szenen aus Goethes Faust" erstmals szenisch.

Opernhausdirektor Alexander Pereira öffnet sein Haus normalerweise nicht allzu polarisierenden Regisseuren und Ausstattern. Im Rahmen der Zürcher Festspiele, in deren Zentrum musikalisch heuer das Œuvre Schumanns steht, wagte er den Schritt und lud Hermann Nitsch zu einer Inszenierung der "Szenen aus Goethes Faust" ein. Ein Werk, das mit seinem Erlösungsmythos inhaltlich in perfektem Einklang mit dem Orgien-Mysterien-Theater des Wiener Aktionisten steht.

Abstrakte Bilder in Regenbogenfarben

Doch wer einen Skandal erwartet, sieht sich getäuscht. Statt Farbschüttungen auf weiße Leinwände werden Bilder von zum Teil großer Ausdruckskraft auf Leinwände projiziert: Weingärten in der eröffnenden Gartenszene, Hochalpenlandschaften, aber auch abstrakte Bilder in den Regenbogenfarben. Genau wie bei den Kostümen in denselben Farben stand Goethes Farbenlehre hierbei Pate. Immer wieder werden die Bilder überblendet, was den untermalenden und nicht narrativen Charakter der Inszenierung unterstreicht, aber zuweilen auch ermüdet.

Überflüssige Scheinprovokation

Für die Regie trägt Nitsch gemeinsam mit dem Schweizer Schauspieler und Regisseur Andreas Zimmermann die Verantwortung. Die beiden lassen die Solisten und die Chöre minimalistisch agieren und tragen so dem oratorienhaften Charakter des Werks Rechnung. Sie choreografieren suggestive Tableaus, in denen immer wieder das christliche Erlösungssymbol, das Kreuz, eine zentrale Rolle spielt.

Doch ganz ohne eine überflüssige Scheinprovokation geht es nicht: Während Gretchen im Dom von heftigsten Seelenqualen gepeinigt wird, weiden Faust und seine Helfer ein Schwein aus – ein Imitat – und füllen es immer wieder neu mit den Eingeweiden und Kunstblut.

Nitsch und Zimmermann ernteten am Premierenabend fast einhelligen Applaus. Trotzdem bleibt die Frage, ob Schumanns Goethe-Vertonung wirklich einer szenischen Komponente bedarf.

Klanggewaltige Eruptionen

In Zürich beweisen Franz Welser-Möst, Orchester, Chöre und die Solisten eigentlich das Gegenteil. Der Noch-Generalmusikdirektor wählt einen traditionellen, weichen Interpretationsansatz, setzt aber gleichwohl auf volle Transparenz und kostet die klanggewaltigen Eruptionen in der Ouvertüre mit ihrer nervösen Spannung und in den Chören aus. Stellenweise würde man sich allerdings eine Zurücknahme des Orchesters zu Gunsten der Sänger wünschen.

Momente romantischen Glücks gelingen in den Bergschluchten mit ihrem lyrischen Charakter und im jubelnden Chorus mysticus. Auf ebenso hohem Niveau wie das Orchester überzeugen die von Ernst Raffelsberger einstudierten Chöre sowie die Solisten.

Simon Keenlyside beeindruckt als Faust mit seinen vokalen Nuancierungsmöglichkeiten sowie perfekter Diktion. Malin Hartelius singt das Gretchen mit weich grundiertem Sopran. Günther Groissböck gefällt mit substanzreichem Bass unter anderem als Mephisto. Roberto Saccà verleiht Ariel und dem Pater Ecstaticus seinen lyrisch fundierten Tenor.

Insgesamt eine Aufführung, die die Festspiele zu mehr als einer Saisonverlängerung werden lässt.