Animierte Begegnung mit unbekannten Bekannten

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (08.09.2007)

Il Barbiere di Siviglia, 06.09.2007, Winterthur

Giovanni Paisiellos «Il barbiere di Siviglia» im Theater Winterthur

Wie seit Jahren üblich, hat das Zürcher Opernhaus die erste Produktion der neuen Saison in Winterthur herausgebracht. Gespielt wird «Il barbiere di Siviglia» - in der kaum mehr bekannten Version von Giovanni Paisiello.

Die Ankündigung «Il barbiere di Siviglia» ist kein Etikettenschwindel, Giovanni Paisiellos Vertonung der Beaumarchais-Komödie heisst tatsächlich genau gleich wie die weit bekanntere, 34 Jahre jüngere von Rossini. Auch die Handlung ist identisch. Es gehört zu den Kuriosa der Operngeschichte, dass Rossinis «Barbiere» bei der Uraufführung 1816 durchfiel, weil er an der damals äusserst populären Version Paisiellos gemessen wurde. Heute ist es genau umgekehrt, misst man Paisiello an Rossini. Die Premiere im Winterthurer Theater hat beweisen, dass auch der ältere «Barbiere» auf der Bühne bestehen kann. Natürlich ist Paisiellos Musik längst nicht so spritzig, melodisch zündend und rhythmisch pulsierend wie jene Rossinis, aber sie pflegt einen höchst kultivierten, nuancenreichen, frischen und oft auch gemütvollen Ton, der die Figuren vielschichtig macht und eng an die dichterische Vorlage bindet.

Szenische Phantasie

In Winterthur kann sich das Werk unter optimalen Bedingungen präsentieren. Das Orchester des Musikkollegiums findet unter der differenzierten Leitung von Zsolt Hamar den richtigen, fein strukturierten, geschmeidigen Kammermusikklang und eine dynamische Balance, die einen die akustischen Tücken des Hauses völlig vergessen lassen. Und die Regie von Cesare Lievi ist ebenso sorgfältig erarbeitet wie die musikalische Wiedergabe. Csaba Antals Bühne gibt sich dabei minimalistisch: zwei schräggestellte, in Anspielung auf Rosina mit roten Rosen besteckte Wände, deren Winkel sich verändern lassen, dazwischen eine bald schmale, bald breitere Öffnung, die einige Videoprojektionen ermöglicht - etwa in der Gewitterszene, die auch in Paisiellos Version nicht fehlt -, ein paar wenige Möbelstücke, dazu ein schwarzer Flügel, dessen Inneres sich als wahre Wundertüte erweist.

Die optischen Akzente werden durch Marina Luxardos skurril phantasievolle Kostüme gesetzt, die raffiniert zwischen Commedia dell'arte und Pop-Art changieren. Sie tragen viel zur Komik der Figuren bei, doch Lievis Personenführung sorgt dafür, dass diese nicht klamaukhaft wird.

Vielversprechender Sängernachwuchs

Als komödiantisches Naturtalent erweist sich wiederum Ruben Drole, der mit seinem agilen, satten und farbenreichen Bariton sämtliche Facetten von Paisiellos Figaro ans Licht holt. Javier Camarena, in Rossinis «Italiana in Algeri» die Tenorentdeckung der letzten Spielzeit, kann in der Partie des verliebten Conte Almaviva zwar nicht mit brillanten Spitzentönen auftrumpfen, beeindruckt aber auch diesmal mit seinem schönen lyrischen Timbre, der Ausgewogenheit seiner Tongebung und, nicht zuletzt, mit seinem Spieltalent.

Die Dritte im Bunde hochbegabter junger Absolventen des Zürcher Opernstudios ist Rebeca Olvera. Ihre temperamentvolle Rosina hat Charme, kann aber auch resolut sein, und für beides findet Rebeca Olveras leicht ansprechender, klar geführter Sopran den adäquaten Ausdruck, mag es ihm auch gelegentlich noch an Feinschliff fehlen. Paolo Rumetz' dickwanstiger, stimmlich dabei sehr gelenker Doktor Bartolo kann in seiner argwöhnischen Eifersucht geradezu bedrohliche Züge annehmen, offenbart jedoch dazwischen ein weiches, fast kindliches Gemüt. Den stets zuverlässigen Bassisten Giuseppe Scorsin hat man noch selten so gelöst und witzig erlebt wie hier als Don Basilio, und selbst die zwei Diener, verkörpert von Andrew Ashwin und Miroslav Christoff, kommen zu einem wirkungsvollen Auftritt. Das Terzett, in dem sie um die Wette niesen und gähnen, statt ihrem Herrn Auskunft über Figaro zu geben, soll einst so populär gewesen sein, dass Rossini darauf verzichtete, diese Szene zu vertonen. Bleibt anzumerken, dass in Paisiellos «Barbiere», wenn er so vergnüglich dargeboten wird wie hier, ausschliesslich auf der Bühne gegähnt wird.